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Eine Portion Hoffnung

Zukunft oder Ende des Kapitalismus? Dieter Klein schreitet den »Horizont der Utopie« ab

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

»Toll, was wir alles wissen«, sagt eine der Protagonistinnen in Dietmar Daths »Neptunation« - um fortzusetzen: »Aber ändert das, was du da weißt, irgendwas daran, dass es wehtut, wenn ich dir eine runterhaue? Dass es Scheiße ist, andere aus Bockigkeit in Lebensgefahr zu bringen?«

Man könnte mit diesen Sätzen aus einer Polit-Science-Fiction auch die real existierende Jetztzeit beschreiben. Oder besser: eines ihrer hervorstechenden Merkmale. Die Tatsache nämlich, dass wir heute mehr denn je über die unsere ganze Existenz als Menschen betreffenden Probleme wissen, die eine Lebens- und Produktionsweise hervorbringt, an der wir mehr denn je festzuhalten scheinen. Oder mit Dath im Kopf gesprochen: Wir wissen alles mögliche darüber und hauen uns trotzdem weiter ständig gegenseitig eine runter, bringen andere und uns in Lebensgefahr.

Zur Person

Dieter Klein, Jahrgang 1931, linker Ökonom und Sozialwissenschaftler, arbeitete und lehrte lange Zeit an der Berliner Humboldt-Universität. Seit der Wende in der DDR vor 30 Jahren beeinflusst er maßgeblich die Debatte der Linken in PDS bzw. Linkspartei über die gesellschaftliche Perspektive im Kapitalismus und darüber hinaus.

Klein, der für die Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet, legte kürzlich sein neues Buch »Zukunft oder Ende des Kapitalismus« vor, in dem er sein großes Thema weiterführt. Das Buch wird von Tom Strohschneider besprochen, von 2012 bis 2017 Chefredakteur von »neues deutschland«, selbst Buchautor und seit einigen Jahren Redakteur der Wirtschafts-Monatszeitung »Oxi«.

Aus Bockigkeit? Dieter Klein sucht nach anderen Antworten. Sowohl auf der Seite der Gründe dafür, warum es so bleibt, wie es ist, obwohl es so nicht bleiben kann. Als auch nach Möglichkeiten, diese Blockade zu überwinden: »Zukunft oder Ende des Kapitalismus?«

Als einer der großen Vertreter der alternativen Transformationsforschung hat sich Klein in diesem Buch eine dreifache Aufgabe vorgenommen: Erstens muss in Zeiten, in denen »Transformation« zum »Symbol eines Zeitgeistes geworden« ist, wie es der kritische Ökonom und Sozialwissenschaftler formuliert, »zum diffus-unverbindlichen Allerweltsbegriff«, der Begriff selbst nachgeschärft und aktualisiert werden. Damit setzt Klein sein Lebenswerk fort, das unter anderem die Idee der »doppelten Transformation« aus innersystemischen und systemüberschreitenden Veränderungen hervorbrachte und hier nun, zweitens, weitergeschrieben wird. Und drittens geht es in dem Buch darum, dem Fragezeichen aus dem Titel eine Portion Hoffnung im Bloch’schen Sinne entgegenzusetzen.

Dieter Klein nähert sich diesen Aufgaben in diesem Buch auf dem Feld einer Diskursanalyse. Wie und warum wird über die Möglichkeit eines Ende des Kapitalismus gesprochen? Welchen Einfluss hat das »auf die real sich durchsetzenden Szenarien gesellschaftlicher Entwicklung«? Wie lassen sich diese Diskurse, in denen also eine »schwere und bedrohliche Materialität« steckt (Michel Foucault), verändern?

Neben Foucault steht Pierre Bourdieus Überlegung am Anfang von Kleins Analyse, laut der Politik »eigentlich erst mit der Aufkündigung« eines »charakteristischen unausgesprochenen Vertrags über die Bejahung der bestehenden Ordnung« beginnt. Wer die Welt verändern will, muss die Vorstellungen von dieser Welt verändern, muss dem Status quo und seinen Verteidigern »eine paradoxe Voraus-Schau«, eine Utopie, einen Plan, ein Programm entgegenhalten.

Hier wird das Buch tagespolitisch interessant, erklingt doch oft und zu Recht der Ruf, die unterschiedlichen Bewegungen progressiver Veränderung bräuchten so etwas wie eine »große Erzählung«. Klein interessiert sich aber nicht nur für jenen Faden, den Linke weiterspinnen sollten, sondern auch für jene, deren wirkmächtiges Reden dazu führt, dass sich zu wenig ändert oder in die falsche Richtung. Wie er es nennt: Das Buch soll »Beitrag zu einer Landkarte der Diskurse über Zukunft oder Ende des Kapitalismus« sein. »Aussagen über künftigen Gedeih oder Verderb« dieser Formation, der Produktions- und gegenwärtigen Regulationsweise, »ergreifen das Denken gesellschaftlicher Akteure, können sie orientieren oder desorientieren, ermutigen oder demoralisieren.«

Klein entwickelt dabei ein Schema von Szenarien fort, das an Überlegungen des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung von 2011 anknüpft, in dem mögliche Szenarien der Entwicklung nach der Finanzkrise beschrieben wurden. Klein ergänzt das Modell und nimmt sich dann Texte anderer vor unter dem Gesichtspunkt, »welche Aspekte aus diesen Schriften aus der Perspektive einer linken Transformationsstrategie besonders wichtig sind, als Gegenpol zu ihr oder weil sie Orientierungen, Anregungen oder Ansatzpunkte für demokratische Allianzen bieten«.

»Die neoliberale Theorie hat in der Mehrfachkrise 2008 erheblich an Überzeugungskraft verloren, ist aber immer noch die entscheidende ideologische Stütze der Machteliten«, so lautet die Bilanz, hier am Beispiel von Friedrich August Hayek und Milton Friedman bis zu Karl-Heinz Paqué und Hans-Werner Sinn gezeigt. »Die Neue Rechte nutzt diese Schwäche, um den neoliberalen Kapitalismus verstärkt in eine autoritäre, antihumane Richtung zu drängen«, was Klein mit dem AfD-Politiker Björn Höcke vorführt. »Aus diesen Erfahrungen resultierende kritische Diskurse zu Niedergang und Ende des Kapitalismus, die jedoch ohne Hoffnung auf Alternativen sind, ohne mobilisierende Impulse für Gegenmachtakteure und ohne Vorstellungen von realisierbaren Gesellschaftsalternativen, lähmen eher, als Lösungen voranzubringen«. Eine Variante, die Klein etwa bei Wolfgang Streeck oder Frank Schirrmacher erkennt.

Zudem werden »Varianten des grünen Diskurses« untersucht, die »zwischen ökologischer Modernisierung des neoliberalen Kapitalismus und Ansätzen für eine progressive Transformation im Rahmen des Kapitalismus« oszillieren, etwa bei Ralf Fücks oder Tim Jackson. »Diese bleibt aber durch dessen Grundstrukturen begrenzt und fordert zu einer Öffnung über ihn hinaus heraus«, so Klein - was ihn schließlich zur Variante eines »Demokratischen grünen Sozialismus« bringt.

Solch eine »Solidarische Gesellschaft« ist leichter gesagt als getan: »das Einfache, das schwer zu machen ist«. Darum kreist der letzte Teil von Kleins Buch, es geht um »Alternative Diskurse«, wobei Erik Olin Wrights Sozialismus-Konzeption ebenso Berücksichtigung findet wie die Idee einer »moralischen Revolution«, wie sie vom Wuppertal-Institut formuliert wurde, bis hin zu Bloch und früheren Ansätzen von Klein selbst. Hier anknüpfend, werden Synthesepunkte gesucht, mögliche Knoten für ein tragfähigeres Konzept gesellschaftlicher Veränderung.

Manches davon wird auf den in der Linken beliebten Vorwurf stoßen, es handele sich »bloß« um »Reformismus«. Dem ließe sich entgegenhalten, dass in Kleins Buch immer und stets der »Horizont der Utopie« leuchtet - und zwar nicht als Glaubensbekenntnis oder Fernziel für die Traditionskabinette. Sondern als »Betriebssystem« progressiven Denkens und Handelns. »Das heißt, die Linke hat in den machbaren Teilreformen immer diejenigen Momente zu stärken, in denen das Novum steckt, das, woraus eine solidarische Gesellschaft einmal werden könnte, dass, worin sie sich schon gegenwärtig ankündigt.«

Bücher sollte man heute nicht mehr als Orientierungspunkte anpreisen, zu oft ist kritisches Denken daran gescheitert, dass Ideen auf Podeste gehoben und damit auch zu Ausreden gegen Veränderung wurden. Kleins Buch wäre aber eine breite Diskussion zu wünschen, die gerade auch seine Vorschläge für die Begründetheit eines grünen, demokratischen Sozialismus zum Gegenstand macht. Denn der »erklärt« sich keineswegs von selbst, er ist auch nicht irgendeine »notwendige« Etappe von Gesellschaftsentwicklung - er braucht ein wertebasiertes Fundament.

»Was macht den demokratischen Sozialismus im Innersten aus?«, fragt Klein und stellt »Leitgedanken« vor. Freie Persönlichkeitsentfaltung für alle und Erhalt der Naturgrundlagen gehören dazu genauso wie die Notwendigkeit »einer hocheffizienten, vor allem ressourceneffizienten Wirtschaft«. Diese kann sich allerdings nicht weiter »auf dem bisher bestimmenden Wachstumspfad« entwickeln, weshalb »erhebliche Umverteilungsprozesse« und »gravierende Veränderungen der Eigentumsverhältnisse« nötig sind. Ihre Wirkung werden diese aber verfehlen, wenn die Menschheit nicht zugleich »eine Art großes Rätsel« zu lösen schafft: eine neue Regulationsweise zur Wirkung zu bringen, die Fehler früherer Versuche nicht wiederholt, sondern »drei Elemente der Regulierung« produktiv kombiniert: strategische Planung, »modifizierte Marktregulation« und weitreichende Demokratisierung.

Dass Dieter Klein auch darauf pocht, dass eine solidarische Gesellschaft genauso wie schon das Streben danach »erst mit einer moralischen Revolution ihr menschliches Gesicht« gewinnt, möge besondere aktuelle Beachtung finden. Denn, und das ist eine der Pointen dieses Buches, es kommt auch darauf an, wie das progressive Lager am Diskurs teilnimmt.

Wie also kann die Kündigung des »unausgesprochenen Vertrags über die Bejahung der bestehenden Ordnung« für Mehrheiten attraktiver werden? »Respekt und Anerkennung der anderen, sachliche wahrheitshaltige Argumente, kommunikative Rationalität als Bereitschaft zur Abwägung von Argumenten und zur Korrektur eigener Auffassungen«, so beantwortet Dieter Klein diese Frage - und verweist auf Jürgen Habermas: »Toleranz und Empathie werden entscheidend für Problemlösungen.«

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