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Friedenskonferenz in München abgesagt

Nach Ablehnung eines Stadtrats als Grußredner wird Veranstaltern Antisemitismus vorgeworfen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer oder was ist antisemitisch? Die Deutungshoheit über die Antwort auf diese Frage ist ein wirksames Instrument der politischen Auseinandersetzung. In München wurde jetzt nach Antisemitismusvorwürfen die »Internationale Friedenskonferenz 2020« abgesagt. Sie sollte eine Gegenveranstaltung zur alljährlich im Februar stattfindenden Sicherheitskonferenz sein. Grund für die Absage durch die Veranstalter war die öffentliche Reaktion darauf, dass aus dem Organisationsteam heraus Bedenken gegen einen Auftritt von Stadtrat Marian Offman (SPD) als Grußredner geäußert worden waren. Da Offman Jude ist, wurde dies in Medienberichten und von ihm selbst als antisemitisch gewertet.

Die Veranstalter weisen die Vorwürfe zurück. In einer Stellungnahme heißt es: »Wir haben Herrn Offman selbstverständlich nicht wegen seiner Religionszugehörigkeit, sondern wegen seiner politischen Positionen und Aktivitäten in der Rolle des Grußwortsprechers abgelehnt.«

Die Münchner Sicherheitskonferenz, ein Treffen hochrangiger Politiker, Militärs und Rüstungslobbyisten, findet dieses Mal vom 14. bis 16. Februar statt. Traditionell gibt es parallel Proteste und Gegenveranstaltungen, darunter seit 2003 die Münchner Friedenskonferenz. Sie wird von einem Organisationsbündnis getragen, dem unter anderen die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Pax Christi und der Kreisjugendring angehören. Das Bündnis setzt sich für die Überwindung »militärischen Sicherheitsdenkens« und für einen Paradigmenwechsel hin zur »Finanzierung ziviler Konflikt- und Krisenbewältigung« ein. An die Stelle des Strebens »nach Überlegenheit und Gewinnmaximierung« müsse die Orientierung an »globaler Gerechtigkeit, am Gemeinwohl für alle Menschen und an Nachhaltigkeit in der Wirtschaft und im Umgang mit den Ressourcen« treten. Dieses Jahr sollte das Szenario »Sicherheit neu denken« Thema der Konferenz sein. Es beschreibe »eine politische Strategie, wie die Sicherheit Deutschlands ohne Militär möglich ist«.

Bislang wurde die Friedenskonferenz von der Stadt München unterstützt. Deshalb ist ein Grußwort eines Vertreters der Stadt fester Bestandteil des Programms. Am diesjährigen Überbringer der Grußbotschaft entzündete sich nun eine Kontroverse, die schließlich zur Absage der Tagung führte. Zur Begründung hieß es, man sehe sich »nicht in der Lage«, die Veranstaltungen »sorgfältig vorzubereiten und gleichzeitig und zeitnah zu den vielen Artikeln und Kommentaren in den Medien Stellung zu nehmen«.

Marian Offman ist erst seit einem halben Jahr Mitglied der SPD. Zuvor saß er 17 Jahre lang für die CSU im Stadtrat, bis diese ihn nicht mehr für die Kommunalwahl 2020 als Kandidaten aufstellte. Er sieht seine jüdische Herkunft auch als Verpflichtung, gegen Neonazis und für Flüchtlinge zu kämpfen. Oberbürgermeister Dieter Reiter begrüßte ihn als »Mahner« und jemanden, der Zivilcourage zeige, in der SPD. Offman setzte sich auch vehement für einen Stadtratsbeschluss ein, der die gegen die israelische Besatzungspolitik in Palästinensergebieten gerichtete Bewegung BDS (»Boycott, Divestment, Sanctions«) ächtet. Niemand, der sich mit der Kampagne befasse oder sie unterstütze, solle zu diesem Zweck städtische Räume oder Zuschüsse erhalten.

Die Veranstalter der Konferenz wiederum kritisierten Offmans Positionen in der Verteidigungspolitik - und seine Haltung gegenüber der Friedensbewegung. »Wir identifizieren ihn mit den Positionen der CSU, z.B. Remilitarisierung, Griff nach Atomwaffen, Kalter Krieg, Diffamierung der Friedensbewegung«, erklärte die DFG-VK in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung. »Er ist uns bekannt geworden schon als Stadtrat der CSU durch fortgesetzte Angriffe auf das Eine-Welt-Haus und die Gruppen der Friedens-, Umwelt- und sonstigen sozialen Bewegungen, die sich dort treffen«, heißt es darin weiter. Offman habe zudem »wiederholt versucht, Veranstaltungen und Gruppierungen, die die Politik Israels kritisch beleuchten, mit dem Vorwurf des ›Antisemitismus‹ einzuschüchtern und mundtot zu machen«. Man habe die Benennung Offmans wegen der Formulierung »wenn Sie damit einverstanden sind« als Vorschlag verstanden und deshalb darum gebeten, einen Vertreter der Stadt zu benennen, »der uns politisch näher stünde«.

Die Reaktion darauf war vehement. Der Stadtrat selbst äußerte die Vermutung, »dass man den Juden Marian Offman« nicht als Redner haben wolle - auch »wegen seiner Position natürlich zu Israel«. »Dass dies heute möglich ist, hätte ich niemals gedacht. Friedensaktivisten boykottieren nicht nur Israel, sondern auch Juden in Deutschland«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«.

Oberbürgermeister Reiter bezeichnete in einen Brief an die Veranstalter die Ablehnung von Offman als »Affront«. Er kenne ihn als »engagierten, mutigen, toleranten und vor allem weltoffenen Stadtrat«.

Der Trägerkreis der Konferenz reagierte auf die Vorwürfe unterschiedlich. Während die Friedensgesellschaft DFG-VK Bayern Offman auffordert, »alle Unterstellungen von Antisemitismus oder Anti-Israelismus« öffentlich zurückzunehmen, bedauerte man beim Kreisjugendring die Ablehnung Offmans als Redner ebenso wie beim Internationalen Versöhnungsbund.

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