Kein richtiger Arzt wegen EU-Richtlinie

Deutsche Absolventen eines englischsprachigen Medizinstudiums in Polen haben Probleme bei der Anerkennung

»Brandenburg braucht junge Ärztinnen und Ärzte, und wir sind froh, dass Absolventinnen und Absolventen, die in Polen Medizin studiert haben, bei uns arbeiten möchten.« Das beteuert das Gesundheitsministerium. Doch Ulrich Gnauck, Geschäftsführer des zum Asklepios-Konzern gehörenden Klinikums Uckermark, hat einen anderen Eindruck. Vorerst geht es um vier Einzelschicksale. Doch es könnte bald mehr als 100 Studenten betreffen. Der Streit werde inzwischen erbittert geführt, weiß Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Es sei eine sehr komplexe Materie. Sie habe auch eine Weile gebraucht, sich da reinzudenken.

Die Sachlage ist schwer zu erklären. Seit 22 Jahren gibt es an der Pommerschen Medizinischen Universität im polnischen Szczecin einen englischsprachigen Studiengang. Seit 2013 kooperiert der Asklepios-Konzern mit der Universität. Er lässt dort Ärzte für verschiedene Standorte in Deutschland ausbilden. Sechs Jahre dauert das. Die ersten 20 Studenten sind im Juni 2019 fertig geworden. Vier von ihnen wollten zum Klinikum Uckermark und beantragten beim zuständigen Dezernat des Potsdamer Gesundheitsministeriums die Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse.

Hier wurde kompliziert, was eigentlich innerhalb der EU kein großes Problem ist. Die Approbation sei »keine Lappalie«, betont Staatssekretär Michael Ranft. »Der Spielraum ist relativ gleich null.« Bei Ausbildungen in Drittstaaten muss das Ministerium in eine umständliche Tiefenprüfung einsteigen, ob die Abschlüsse mit den geforderten Standards in der Bundesrepublik vergleichbar sind. Im Falle von EU-Staaten wie Polen geht es inzwischen erheblich einfacher. Denn es gibt die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie RL 2005/36/EG. Seit 15 Jahren melden dabei die einzelnen EU-Staaten, welche Prüfungen Medizinstudenten bei ihnen bestehen müssen, um als Arzt arbeiten zu dürfen. Legen Absolventen die entsprechenden Zeugnisse in einem anderen EU-Staat vor, erfolgt die Anerkennung quasi automatisch. In Polen ist aber nach dem Studium und vor der Approbation mittlerweile noch ein 13-monatiges Praktikum in einem Krankenhaus vorgeschrieben, und außerdem gibt es noch eine Prüfung zu Rechtsfragen und Ethik, die sich auf die Verhältnisse in Polen bezieht. Diese Prüfung kann zwar auch in englischer Sprache abgelegt werden, das Material zur Vorbereitung liegt aber ausschließlich auf Polnisch vor. Dass ein 13-monatiges Praktikum in einem polnischen Krankenhaus für die deutschen Medizinstudenten in Szczecin wegen fehlender Sprachkenntnisse undenkbar sein dürfte, versteht sich von selbst.

Das Gesundheitsministerium in Warschau habe bereits vor Monaten schriftlich bestätigt, dass Praktikum und Medizinrechtsprüfung nur verlangt werden, »wenn der Arzt in Polen arbeiten möchte«, erinnert Geschäftsführer Gnauck vom Uckermark-Klinikum in Schwedt vergeblich.

Denn Staatssekretär Ranft kann nicht erkennen, dass sein Ministerium einen Fehler gemacht hätte. Praktikum und Prüfung stünden nun einmal in der EU-Richtlinie und daran müsse man sich halten. Besonders ärgerlich: Polen hat das Praktikum erst im April in die Richtlinie eingefügt. Hätte es damit drei Monate gewartet, hätten die vier Antragsteller noch problemlos ihre Approbation erhalten können.

Nach Einschätzung von Ministerin Nonnemacher wäre der Fall ganz schnell und dauerhaft geklärt, wenn Polen den Passus wieder streicht. Aber dazu ist das Nachbarland nicht bereit - und dafür bringt Nonnemacher ein gewisses Verständnis auf. Schließlich habe Polen das Praktikum überhaupt erst eingeführt, um die selbst dringend benötigten Mediziner erst einmal für 13 Monate und damit vielleicht für immer im Land zu halten. Denn Abwanderung in großem Stil - der bessere Verdienst in Deutschland lockt - würde große Schwierigkeiten im polnischen Gesundheitswesen verursachen. Die Absolventen des englischsprachigen Studiengangs in Szczecin waren mit der Regelung nicht gemeint, aber sie müssen die verfahrene Situation gerade ausbaden.

Mittlerweile überlegen Klinikgeschäftsführer Gnauck und der ärztliche Direktor Rüdiger Heicappell, die Kooperation mit der Pommerschen Medizinischen Universität aufzulösen. »Wir können dann keinen Beitrag mehr leisten, um gegen den Ärztemangel vorzugehen. Das könnte besonders für unsere Region fatale Folge haben«, warnt Gnauck. Professor Heicappell rechnet vor, dass der Staat für ein Medizinstudium in Deutschland Kosten in Höhe von 200 000 Euro aufbringen müsse. Durch das Studium im Ausland konnte diese Summe gespart werden. Bei bislang 20 Absolventen in Szczecins seien das acht Millionen Euro. Universitätsprofessor Leszek Domanski hofft, dass sich die Politik gut überlegt, was die Verweigerung der Approbation bedeutet, und endlich eine für die Studenten positive Entscheidung fällt.

»Wir haben kein Interesse, dem Studiengang das Wasser abzugraben oder in die Rekrutierung von Krankenhäusern einzugreifen«, beteuert Staatssekretär Ranft. »Aber wir brauchen eine rechtssichere Lösung.«

Wenn Polen die EU-Richtlinie nicht anpassen und auch keine Sondergenehmigungen erteilen will, gibt es laut Ministerin Nonnemacher noch den Weg eines Abkommens mit der Bundesrepublik, das ein Abweichen von der Richtlinie erlaubt. Als letzte Rettung bliebe übrig, dass die Studenten aus Szczecin 13 Monate mit einer eingeschränkten Berufserlaubnis des Potsdamer Gesundheitsministeriums an einer Klinik in Brandenburg arbeiten und sich das anschließend von Polen als Praktikum anerkennen lassen. So würden sie doch noch eine Approbation in Deutschland bekommen. Polen hat die Anerkennung eines Praktikums in der Bundesrepublik zugesagt. Das Angebot wurde den Absolventen bereits im Sommer vergangenen Jahres unterbreitet und es steht nach wie vor. Die Betroffenen und der Asklepios-Konzern sind allerdings bisher nicht darauf eingegangen. Es wären 13 Monate, in denen die Mediziner nicht voll einsatzfähig sind. Sie dürften nur unter Anleitung tätig sein und auch keine Nachtdienste machen.

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