Der CDU Grenzen setzen

Karamba Diaby erinnert den Koalitionspartner an den demokratischen Konsens

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Diaby, in Thüringen wurde erstmals ein Ministerpräsident mit Stimmen der AfD und der CDU gemeinsam gewählt. Was denken Sie diesbezüglich?

Mit dieser Wahl sehen wir, dass der Konsens der demokratischen Parteien anfängt zu bröckeln.

Welcher Konsens?

Demokraten machen keine gemeinsame Sache mit den Feinden der offenen Gesellschaft. Deshalb bin ich fassungslos, dass so etwas momentan in Thüringen läuft. Ich finde, dass es eine Herausforderung unserer demokratische Parteien ist, diesen Konsens wiederherzustellen.

Sind AfD-Politiker Feinde der Demokratie?

Ich finde, bestimmte Äußerungen von AfD-Abgeordneten sind sehr grenzwertig. Sie sind so beleidigend und herabwürdigend, dass klar ist, dass sie unseren Konsens nicht teilen.

Was ist das Problem an den Äußerungen von AfD-Politikern?

Ich denke, jeder Politiker, der solche beleidigenden Reden hält, muss sich Gedanken darüber machen, was er dazu beiträgt, dass die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird.

Nehmen Sie wahr, dass CDU und AfD auf Gemeindeebene häufiger zusammenarbeiten?

Wir stellen in vielen Bundesländern fest, auch bei mir in Sachsen-Anhalt, dass sogar Teile der CDU-Fraktion, also vom Fraktionsvorstand, Papiere entwickelt haben, die darauf hindeuten, dass eine Koalition mit der AfD nicht ausgeschlossen werden sollte. Ich denke, dass das Tendenzen in den Reihen der CDU sind, welche die Partei ernst nehmen sollte. Die CDU muss sich deutlich davon distanzieren, insbesondere in den Ländern.

Ist die Große Koalition durch Annäherungen zwischen CDU und AfD gefährdet?

Nein, auf Bundesebene sehen wir, dass sowohl die Bundeskanzlerin, als auch die bisherige Parteivorsitzende deutlich gemacht haben, dass es einen Parteitagsbeschluss der CDU gibt, und dieser Parteitagsbeschluss eingehalten werden muss. Das ist Grundlage der Zusammenarbeit mit der CDU auf Bundesebene.

Das heißt, so lange sich die Bundes-CDU an den Parteitagsbeschluss hält, ist es egal, was Landesverbände treiben?

Nein. Die CDU muss sich auch in den Ländern deutlich von Menschen in ihren Reihen distanzieren, die mit der AfD kuscheln oder Angebote für eine eventuelle Koalition machen.

Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU schließt auch die Zusammenarbeit mit der Linkspartei aus. Finden Sie das richtig?

Nein. Das finde ich für unsere Demokratie nicht gut. Die Linke regiert in einigen Bundesländern, zum Beispiel in Berlin. Zudem steht sie für eine offene und tolerante Gesellschaft ein. Im Gegensatz zur AfD teilt sie also den demokratischen Konsens und kann deswegen nicht mit ihr auf eine Stufe gestellt werden.

Sie leben seit vielen Jahren in Halle und haben dort ihren Wahlkreis. Hat sich die Stimmung nach dem Anschlag auf die Synagoge im Oktober 2019 in der Stadt geändert?

Ja. Ich nehme wahr, dass die Menschen in Halle näher zusammengerückt sind, nach dem Anschlag auf die Synagoge. Es gibt viele Aktivitäten, wo immer wieder zu demokratischem Zusammenhalt aufgerufen wird. Nicht nur Demonstrationen, sondern Veranstaltungen von der Stadtverwaltung, von Netzwerken, von Vereinen, von Verbänden. Das macht Halle wirklich zu einer Stadt, wo es sich lohnt, ganz genau hinzuschauen und differenziert zu analysieren. In den ersten Monaten danach sind die Menschen vorsichtiger geworden. Das ist aber auch normal.

Was meinen Sie damit?

Nach dem 9. Oktober hat man sich erst mal die Frage gestellt: Warum denn gerade Halle? Warum in einem Stadtteil von Halle, Paulusviertel, wo generationsübergreifend Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern zusammenleben? Das ist ein Schock für viele Hallenserinnen und Hallenser. Man war in den Wochen und Monaten danach immer sehr aufmerksam, hat geguckt, ob noch einmal so etwas passiert. Das hat sich aber mittlerweile wieder gegeben. Ich spüre wirklich ein Zusammenrücken der Menschen und dass man etwas tut.

Was macht Halle lebenswert?

Halle ist eine Universitätsstadt. Deswegen gibt es viele junge Leute, die sich im gesellschaftlichen Leben einbringen. Zudem ist Halle eine kulturell wirklich vielfältige Stadt. Die Uni mit der Theatergeschichte, mit 20 000 Studenten, davon 2000 international Studierende. Und Halle hat die größte Prozentzahl an Kleingartenanlagen. Das macht die Stadt auch lebenswert. Ich bin nämlich ein Kleingartenfreund.

Nichtsdestotrotz haben Sie vor kurzem öffentlich gemacht, dass es Einschusslöcher in Ihrem Bürgerbüro gab. Was hat Sie dazu bewegt, das öffentlich zu machen?

Ich bin der Meinung, wenn solche Angriffe passieren, sei es auf hauptamtliche oder ehrenamtliche Politiker; physisch oder aber auch auf ihre Büros, muss das öffentlich gemacht werden. Oftmals ist auch die Feuerwehr, Polizei oder das Technische Hilfswerk betroffen. Das sind alles Fälle, wo Menschen im öffentlichen Raum sind, die sich für diese Gesellschaft engagieren, angegriffen werden. Wenn wir das nicht öffentlich machen, werden die Leute nicht sensibilisiert, um dagegen aufzustehen.

Welche Rückmeldungen haben Sie auf die Veröffentlichung des Angriffes erhalten?

Ich habe sehr sehr viel Solidarität erfahren. Sehr viele E-Mails und sehr viele Kommentare in sozialen Netzwerken – neben den unangenehmen und beleidigenden – Tausende, Abertausende Solidaritätsbekundungen. Deshalb sollten wir solche Vorfälle veröffentlichen, unabhängig davon, was die Motive sind und ob wir diese kennen. Es geht um Gewalt. Wir müssen deutlich machen: das ist kein Mittel, um demokratische Auseinandersetzung zu führen. Egal, welches Motiv dahintersteht.

Ihre Kollegin Sawsan Chebli, die Berliner Staatssekretärin, veröffentlicht sehr viele Hassbriefe. Sie machen so etwas nicht?

Nein. Ich mache das nicht immer, weil ich dafür keine Zeit habe. Das heißt aber nicht, dass ich es falsch finde. Meiner Meinung nach sollte man jegliche Grenzüberschreitung deutlich machen. Die Menschen, die so etwas tun, sind zwar eine Minderheit. Aber wir sollten die nicht vernachlässigen, wir sollten die nicht kleinreden. Man soll das nicht so abtun, als ob das normal wäre. Es ist nicht normal, einen Menschen zu beleidigen, einem Menschen mit Hass zu begegnen oder ihn zu bedrohen – das ist in unserem demokratischen Verfassungsstaat nicht normal. Aber wenn wir solche Taten einfach stehen lassen, dann geht derjenige davon aus, dass es normal ist, er kann das machen.

Sind Anzeigen in solchen Fällen sinnvoll?

Ja. Der Staat kann nur eingreifen, wenn man die juristischen Mittel nutzt. Ich freue mich aus aktuellem Anlass, dass Renate Künast einen Erfolg erreicht hat, dass jemand eine Geldstrafe zahlen muss, der sie beleidigt hat. Ich finde, der Staat muss solche Grenzen setzen. Social Media sind ein freier Raum, wir freuen uns alle, dass wir sie nutzen, in ihrer Vielfältigkeit. Aber es ist kein rechtsfreier Raum. Das ist irgendwie bei einigen Menschen verlorengegangen.

Trotz der Gewalterfahrungen, die Sie gemacht haben, kommen Sie sehr optimistisch rüber. Wie kommt das?

Meinen Optimismus nehme ich daher, dass ich überzeugt bin: die überwiegende Mehrheit dieser Gesellschaft ist für eine offene Gesellschaft, für eine solidarische Gesellschaft. Das spüre ich in meinem Wahlkreis, aber auch in den Social Media, nach solchen Ereignissen. Das gibt mir Mut und es ermutigt mich und mein Team. Wir haben die Gewissheit: Menschen, die zu Gewalt greifen, die laut und aggressiv auftreten, sind nicht die Mehrheit in diesem Land.

Die Debatte über die Baseballschlägerjahre und die aktuellen politischen Entwicklungen zeigen, dass sich in Ostdeutschland rechtsextreme Strukturen verfestigt haben.

Ich vermeide, die Entwicklung von Rechtsextremismus und Populismus auf Ostdeutschland zu beschränken. Das ist mir zu einfach. Ich denke schon, dass Rechtsextremismus, Antisemitismus, aber auch Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Thema sind.

In Ostdeutschland gab es aber mehr und heftigere Gewalttaten als im Westen.

Ja, es gibt sehr viele Gewaltvorfälle in Ostdeutschland. Aber ich möchte nicht den gesamten Osten pauschal als rechtsextremes Zentrum bezeichnen, denn es gibt dort auch eine Zivilgesellschaft, die sich gegen rechts wehrt – beispielsweise bei mir in Halle das Netzwerk »Bündnis gegen rechts«, das regelmäßig auf die Straße geht. Auch nach den Ereignissen vom 9. Oktober 2019 hat sich die Zivilgesellschaft und auch die Stadtverwaltung gewehrt. Insofern sollte man die Medaille, die zwei Seiten hat, entsprechend auch betrachten.

Ist es nicht auch ein Problem, dass viele Menschen in Ostdeutschland, die liberaler denken, diese Orte verlassen? Und das zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus dadurch schwieriger wird?

Ja, es ist zu beobachten, dass es in Teilen Ostdeutschlands, nicht Gesamt-Ostdeutschland, Regionen gibt, wo sich mittlerweile stärkere rechtsextreme Strukturen installiert haben. Sie suchen sich diese Räume bewusst, wo sie der Meinung sind, es gibt keinen großen Widerstand. Die gibt es. Das ist nicht zu vernachlässigen.

Was kann dagegen getan werden?

In Halle hat es immer wieder kleinere Gruppierungen von Neonazis gegeben. Sie sind aufgrund des Widerstandes wieder verschwunden. Und das ist gut so. Deshalb wäre es natürlich wichtig, an den Stellen zu gucken, wo es solche rechtsextreme Strukturen gibt, dass die Bevölkerung sensibilisiert wird. Das dort Widerstand geleistet wird. Jedem sollte klar gemacht werden, dass Demokratie und Toleranz dieses Land nach vorne gebracht haben und nicht die Spaltung.

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