»Überzeugte Liberale« soll raus

Rheinland-pfälzische FDP will ihre bildungspolitische Sprecherin loswerden

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 20. Februar will die FDP-Fraktion in geheimer Abstimmung über einen möglichen Ausschluss Lerchs entscheiden. Wie ein Sprecher der FDP-Landtagsfraktion auf »nd«-Anfrage bestätigte, wurde das Ausschlussverfahren gegen Lerch mit Unterstützung aller anderen Fraktionsmitglieder vor einigen Tagen offiziell eröffnet. Vorausgegangen waren wiederholte Einzelgespräche von Fraktionsmitgliedern mit der Abgeordneten.

Am Dienstag hat Lerch eine juristische Niederlage im Streit mit ihrem Parteifreund Marco Weber einstecken müssen. Das Landgericht Mainz wies den von ihr angestrebten Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück, so eine Gerichtssprecherin. Das Gericht begründete das damit, dass die angeblichen Aussagen Webers, die Lerch ihm verbieten wollte, »dem Grundsatz der Indemnität« unterlägen, da sie während der Fraktionsarbeit getätigt worden sein sollen.

Die Fraktion wirft Lerch vor, sie soll wiederholt ohne Rücksprache mit ihrer Fraktion öffentlich Positionen vertreten haben, die »nicht im Einklang mit der Willensbildung und Meinung der Fraktion« stünden, so der Fraktionssprecher. Er gehe davon aus, dass die Fraktion nach Abschluss des Verfahrens ein Mitglied weniger haben werde. Der Landesvorstand der Partei sei informiert, es sei aber letzten Endes eine innere Angelegenheit der Fraktion, so der Sprecher.

Landesvorsitzender der Liberalen in Rheinland-Pfalz ist Volker Wissing, der als Wirtschaftsminister im Kabinett von SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sitzt und sich als Fraktionsmitglied für den Ausschluss der aufmüpfigen Abgeordneten stark macht. Wissing sitzt auch im Präsidum der Bundespartei. Lerch möchte nach eigenem Bekunden auch nach einem Fraktionsausschluss als »überzeugte Liberale« Mitglied der Partei bleiben, in die sie 1976 eingetreten war und als unabhängige Abgeordnete bis Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2021 im Mainzer Landesparlament sitzen bleiben. Die 64-jährige war bis zur Wahl in den Landtag 2016 Schulleiterin des Gymnasiums in Nackenheim und ist Mitglied im Philologenverband, einer Mitgliedsorganisation von Gymnasiallehrern im konservativen Dachverband DBB Beamtenbund und Tarifunion. Sie hatte auf Platz 2 der FDP-Landesliste kandidiert.

Wissing, die FDP-Fraktionschefin im Landtag Cornelia Willius-Senzer und andere lasten Lerch offenbar vor allem unabgesprochene öffentliche Aussagen im Zusammenhang mit der Bildungspolitik an, die »fraktionsschädigend« seien. So hatte Lerch etwa im Landtagsplenum im Sinne der FDP-Programmatik 105 Prozent Unterrichtsversorgung für die Schulen im Land gefordert und damit den Unmut anderer Koalitionäre vor allem aus der SPD erregt, weil dies so nicht von der Ampelkoalition vertreten wird. Nach Bekanntwerden von Überlastungsanzeigen des Lehrerkollegiums an einer »Realschule plus« in Betzdorf (Westerwald) eckte sie auch mit Äußerungen zur Inklusion in Schulen an. Die Liberalen lasten Lerch besonders Äußerungen zu möglichen Fällen sexuellen Missbrauchs an Schülern durch Lehrer an, die aus ihrer Sicht von der Schulverwaltung nicht konsequent geahndet würden. Später musste sie hier etwas zurückrudern. Dem Vernehmen nach hätten sich viele Lehrer darüber bei der FDP über Lerchs Äußerungen beschwert.

Den Vorwurf fraktionsschädigenden Verhaltens weist Lerch weit von sich. »Ich bin ein Mensch, der die Dinge gern beim Namen nennt, auch als Landtagsabgeordnete«, erklärt sie auf ihrer Website und bekennt sich zu den »Menschenbild des Liberalismus« und den Grundsätzen der FDP. Sie habe »in keiner einzigen Landtagsabstimmung gegen meine Fraktion gestimmt«, so Lerch. Doch als Parlamentarierin bestehe ihre Aufgabe »nicht in unkritischem Lob der Exekutive«. Die Kontrolle der Regierung dürfe »nicht nur von der jeweiligen Opposition wahrgenommen werden«, so ihre Überzeugung, zumal Abgeordnete laut Landesverfassung »nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden« seien.

Die Affäre um die aufmüpfige Abgeordnete Helga Lerch wäre aus bundespolitischer Sicht bedeutungslos, wenn die Liberalen im Vier-Millionen-Südweststaat zwischen Pfälzer Wald, Eifel und Westerwald nicht Teil einer Ampelregierung mit SPD und Grünen wären und wenn die Mehrheit der Koalition im Mainzer Landtag mit ihrem Fraktionsausschuss nicht auf eine Stimme schrumpfen würde. SPD, FDP und Grüne verfügen im Landtag derzeit über eine Mehrheit von 52 Stimmen. CDU, AfD und zwei fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete können in der Summe 49 Stimmen in die Wagschale werfen. Ohne Lerch hätte die Ampelkoalition nur noch 51 Stimmen gegenüber 50 Stimmen der Opposition. Doch weil knappe Mehrheiten mitunter auch disziplinierend wirken können, geben sich führende Koalitionäre zuversichtlich, dass sie den Verlust Lerchs verkraften.

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