nd-aktuell.de / 27.02.2020 / Politik / Seite 5

Schikane im Hochsicherheitsgefängnis

Prozessbeobachter kritisieren Verstöße gegen die Verfahrensrechte, die Wikileaksgründer Julian Assange zustehen

Daniel Lücking

Der Prozess gegen den Wikileaksgründer Julian Assange findet unter Protesten statt. Prozessbeobachter und Verteidiger schildern, wie mit dem Angeklagten und dessen Unterstützern umgegangen wird. Dem derzeitigen Chefredakteur von Wikileaks, Kristinn Hrafnsson, wurde am Dienstag am Gericht in London der Zutritt verweigert. Eine Begründung fehlte zunächst. »Mir wurde mitgeteilt, das Gericht habe entschieden, mich von der Besuchertribüne zu verbannen«, zitierte Zeit Online den isländischen Journalisten.

Für Assange, der unter den Auswirkungen der Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis leidet, wird der Prozess nach Angaben seiner Verteidiger zusehends erschwert. Am ersten Prozesstag musste Assange fünf Mal die Gefängniszelle wechseln. Elf Mal wurden ihm Handschellen angelegt und er wurde zwei Mal durchsucht. Ärzte bezeichnen den Gesundheitszustand von Assange weiterhin als fragil und gehen davon aus, Assange werde im Falle einer Auslieferung an die USA - ihm drohen dort bis zu 175 Jahre Einzelhaft - einen Weg finden, um Suizid zu begehen.

Dem Verfahren kann Assange, nicht nur aufgrund der gesundheitlichen Bedingungen, nur unter erschwerten Bedingungen folgen. So seien ihm nach dem ersten Tag Verfahrensunterlagen weggenommen worden, die er für seine Vorbereitung brauchen würde und die ihm als Beschuldigten zugänglich zu machen sind.

Assange wird in den USA vorgeworfen, mit den Veröffentlichungen auf der Enthüllungsplattform Wikileaks das Leben von US-Bürgern gefährdet zu haben. Durch die Vertreter der US-Regierung wurde bisher kein Beleg erbracht, wie diese Gefährdung konkret ausgesehen haben soll. Journalisten, die mit Assange zusammengearbeitet haben, beschreiben unterdessen den Aufwand, den Assange gemeinsam mit mehreren namhaften Medien in Vorbereitung der Veröffentlichung betrieben hat.

Die US-Interessen wurden durch die Veröffentlichung der Irak-Afghanistan-Kriegstagebücher empfindlich gestört. Die Whistleblowerin Chelsea Manning hatte Wikileaks zahlreiche Dokumente und Videos zugespielt, die US-Kriegsverbrechen im Irak und die Kriegsführung in Afghanistan öffentlich machten. Manning wurde in einem Prozess als »Verräterin« mit 35 Jahren Gefängnis bestraft. Obgleich sie nach sieben Jahren vorzeitig entlassen wurde, ist sie derzeit erneut in den USA inhaftiert. Der Grund: Es soll eine Aussage gegen Assange erzwungen werden. Manning verweigert die Aussage und lässt aus der Beugehaft wissen, sie würde lieber verhungern, als gegen Assange auszusagen. Manning hatte während ihrer Isolationshaft in US-Gefängnissen mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

Die Verteidigung brachte vor, man habe Zeugen, die belegen können, dass mit der Sicherheitsfirma, die in der ecuadorianischen Botschaft eingesetzt wurde, über »extremere Maßnahmen« gegen Assange gesprochen wurde. Die Videoüberwachung der Botschaftsräume, die nicht nur in die Persönlichkeitsrechte von Assange, sondern auch in die seiner Besucher eingriff - die Damentoilette soll überwacht worden sein - hatten deutsche Journalisten zum Thema gemacht. »Extremere Maßnahmen« reichen bis zu einem Mordkomplott gegen Assange. Es habe den Vorschlag gegeben, eine Tür der Botschaft offen stehen zu lassen, um eine Entführung wie ein Versehen aussehen zu lassen, zitierte einer der Verteidiger Edward Fitzgerald aus der Zeugenaussage.

Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion sind in London und verfolgen den Prozess und die Solidaritätsproteste für Assange. »Journalismus ist kein Verbrechen, Julian Assange muss aus der Haft entlassen werden. Einen größeren Präzedenzfall der Pressefreiheit wird es in absehbarer Zeit nicht geben«, sagte die Linke-Politikerin Doris Achelwilm. »Die Enthüllungen auf der Plattform Wikileaks über die Kriegsverbrechen der USA im Irak waren im öffentlichen Interesse und müssen durch die Pressefreiheit geschützt werden.«

Auch US-Whistleblower Edward Snowden sieht in dem Verfahren gegen Assange einen Präzedenzfall und weist auf die Bedrohung für den investigativen Journalismus hin, die mit dem Fall Wikileaks einhergeht.

In Berlin hatte sich am Montag die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) für die Gewährung von Asyl in Deutschland ausgesprochen. Ähnliche Forderungen waren in den vergangenen Jahren auch zugunsten von Snowden erhoben worden. Nach langem Prüfungsprozess sah das SPD-geführte Justizministerium damals keine Möglichkeit. Nicht zuletzt, um diplomatische Verwicklungen mit den USA zu vermeiden, erteilte man den Asylforderungen eine Absage.

Es ist die erste Woche der Verhandlungen über eine Auslieferung von Assange an die USA. Nach einer mehrwöchigen Unterbrechung wird die Verhandlung im Mai fortgesetzt.