Fremd zu Hause

In der Geschichtspolitik der PiS ist ein Warschauer Historiker wie Stola zunehmend fremd zu Hause

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Durch Museen verläuft eine der wichtigen Frontlinien in der Geschichtspolitik. In Polen stehen zwei von ihnen seit Jahren im Fokus, auch über das Land hinaus: das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk sowie das POLIN, das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau. Beide haben europäische Strahlkraft, beide standen und stehen wegen ihrer Ausstellungen unter Beschuss der regierenden PiS: Das vielschichtige, nicht immer nur strahlende und unbefleckte Bild Polens, das beide Häuser zeigen, passt nicht in die Erzählung der Nationalkonservativen.

Das bekam in Warschau vor allem Dariusz Stola zu spüren. Der 1963 in der polnischen Hauptstadt geborene Historiker - einer der renommiertesten seiner Zunft -, leitete das POLIN seit der Eröffnung 2014. Es liegt im Stadtteil Muranów, wo sich das Warschauer Ghetto befand. Direkt vor der Museumstür steht das Denkmal, an dem Willy Brandt 1970 auf die Knie fiel. Im Museum wird die Geschichte der polnischen Juden erzählt - aber sie endet nicht 1943 oder 1944. Stola hat zur Migration im 20. Jahrhundert, zum Holocaust und den polnisch-jüdischen Beziehungen bis heute geforscht. Er hat das sogenannte Holocaust-Gesetz der PiS scharf kritisiert. Das Museum verweist auf Antisemitismus wie in der Sonderausstellung »Fremd zu Hause«, die die antisemitische Welle von 1968 auch mit der Gegenwart in Beziehung setzte - viele in der PiS schäumten.

Im Februar 2019 lief Stolas Vertrag als Direktor aus. Kulturminister Piotr Gliński (PiS) weigert sich, ihn zu verlängern, obwohl Stola den offenen Wettbewerb um die Stelle gewann. Ein Museum ohne Leitung hängt in der Luft, langfristig zu konzipierende Ausstellungen sind kaum möglich. Der Wissenschaftler Stola ist dementsprechend bis heute nicht auf Gliński zu sprechen: »Ein Minister, der seine Position so demonstrativ missbraucht, ist in Polen noch nicht vorgekommen.« Stola hat den Weg für einen Nachfolger freigemacht. In der Geschichtspolitik der PiS ist ein Warschauer Historiker wie Stola zunehmend fremd zu Hause.

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