Halbe Rente für die Prinzessin

Geschlechterrollen sind zäh - und zu teuer für Frauen.

Soldatin, Kanzlerin, Schiedsrichterin im Männerfußball - in Deutschland kann eine Frau alles werden. Frauen müssen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden, können Diskriminierungen anklagen und dürfen sogar in der Ehe Nein sagen. Schon vor Jahren schrieb eine deutsche Frauenministerin: »Danke, emanzipiert sind wir selbst«, weil es ihr schon zu viel wurde mit dem Feminismus.

Dass es dennoch ein Problem gibt, stellte das Weltwirtschaftsforum - keine feministische Organisation - vor einiger Zeit mit Blick auf die Arbeitsmärkte fest: Beim aktuellen Tempo der Entwicklung würde es noch hundert Jahre dauern, bis die Frauen in aller Welt gleichberechtigt wären. WEF-Gründer Klaus Schwab formulierte das auf seine Weise: Es müsse »das Ziel globaler und nationaler Anführer sowie von Top-Managern sein, eine fairere und inklusivere Wirtschaft aufzubauen«, sagte er und mahnte, die andere »Hälfte des weltweiten Talents« einzubeziehen, damit die Volkswirtschaften zum Wohle aller wachsen könnten. Deutschland, auf Platz 10 von 153 Ländern in Sachen Gleichberechtigung, empfahl das WEF, mehr Frauen in führenden Positionen von Politik und Wirtschaft sowie längere Elternzeiten für Väter.

Symbolpolitik

Eine erhobene Faust, lackierte Fingernägel bei Männern, aber auch Nationalflaggen oder Uniformen: Wir nutzen Symbole, um uns eine Identität zu schaffen. Als Frau, als Polizei, als politisch links - jede Gruppe, jede Subkultur ist darauf angewiesen. Spannend wird es, wenn sich Symbole verändern, wenn sie übernommen oder verboten werden. Auf den folgenden Seiten sind verschiedene feministische Symbole versteckt. Sie geben Einblick in unsere Kultur und ihren Wandel. Dieser Wandel muss nicht bedeuten, dass sich alles wiederholt oder - je nach Lebenseinstellung - immer schlechter oder besser wird. Er zeigt aber: Es könnte auch ganz anders sein. got

Geduldiges Papier

Hundert Jahre - das ist sehr, sehr lang. Und kurz zugleich. Auch 1920 waren Frauen in Deutschland schließlich schon gleichberechtigte Staatsbürgerinnen: Das Wahlrecht ist erkämpft, und sie stellen neun Prozent der Mitglieder der Weimarer Nationalversammlung. Die Universitäten stehen ihnen offen; immer mehr Frauen gehen einer Erwerbsarbeit nach, auch jenseits von Haus- und Landwirtschaft. Im Straßenbild der Städte fallen die weiblichen Angestellten auf. Die »neue Frau« wird erfunden, und Männer fürchten um ihre Vorherrschaft.

»Die Gleichberechtigung der Frauen stand in der Verfassung, war auf dem Papier vorhanden, das war aber auch alles. Die Wirtschaft, die Finanzen, Verwaltung, der gesamte Staatsapparat«, kritisierten dagegen die Frauenrechtlerinnen Lida Heymann und Anita Augspurg, »befanden sich ausschließlich in den Händen der Männer.« Nach wie vor wird in allen Schichten weniger in die Bildung von Mädchen investiert. Berufstätig zu sein, wird für Frauen zur Normalität, ist aber nur für die Zeit zwischen Schule und Ehe vorgesehen.

Arbeiterinnen wie Angestellte bekommen per Tarifvertrag zehn bis 40 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen, auch mit der Begründung, dass sie Kleidung und Essen selbst herstellen könnten, also weniger Geld benötigten. Zwangsläufig wohnen die meisten »neuen Frauen« bei ihren Familien, müssen nach der Arbeit im Gegensatz zu den Brüdern kräftig im Haushalt mithelfen, werden von patriarchalischen Vätern und Chefs herumkommandiert und erhoffen sich von der Heirat eine Befreiung, die sie nicht einmal per Gesetz ist: Nach dem gültigen Familien- und Eherecht gehören Arbeit, Vermögen und Körper dann dem Gatten.

Rosa oder himmelblau

Inzwischen sind diskriminierende Gesetze weitgehend abgeschafft. Mädchen und Jungs sind ungefähr gleich gut ausgebildet, heißt es im Gleichstellungsreport des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Aber sie gehen verschiedene Wege: Die einen werden Bürokauffrauen, die anderen Kraftfahrzeugmechatroniker. Dahinter steckt eine hartnäckige Struktur.

Schon der Versuch, ein geschlechtsneutrales Kleidungsstück für ein Kleinkind zu besorgen, endet in Verzweiflung: Die Babywelt, egal ob im Kaufhaus oder in der Naturstoff-Boutique, ist rosa und himmelblau, die Kinderwelt pink und blau-grün-tarnfarben. Hier Einhörner und Prinzessinnen, da Autos und Tiger. Selbst die Saschas, Kims und Lucas genderbewusster Eltern können sich einer Umgebung nicht entziehen, die nur Mädchen und Jungs kennt und sie in vermeintlich typischem Verhalten bewusst oder unbewusst bestärkt.

Später sind es dann die Männer, die Konflikte stoisch aussitzen, statt zu das Gespräch zu suchen. Sie nehmen Herausforderungen ohne zu zögern an, Frauen überlegen sich alles dreimal. Während sich der eigentlich gleichgestellte männliche Kollege mit Texten, Vorträgen und Präsentationen einen Namen macht, sehen sich Frauen Fleiß- und Organisationsaufgaben ausführen, wenn sie nicht entschieden dagegen ankämpfen. Nachgewiesenermaßen zitieren Männer bevorzugt Männer, stellen sie eher ein und vergeben Preise an sie, während Frauen Männer und Frauen in ähnlicher Weise berücksichtigen. Selbst im linken Kulturbetrieb scheint es eine Anstrengung zu sein, gleich viele Frauen und Männer zu finden, die Texte schreiben oder Podien besetzen. Von weiteren Diversitäten ganz zu schweigen.

»Zweifelsohne haben sich Dinge gewandelt. Doch zeigt sich unter der Oberfläche ein beharrliches Festhalten an segregierten Strukturen, Arbeitsteilungen und auch an Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern, das sich dem öffentlichen Diskurs der Gleichberechtigung und vielfach auch der Orientierung an Egalität in der eigenen Lebenswelt widersetzt«, schreibt die Soziologin Sarah Speck. Sie meint den öffentlichen wie den privaten Raum und selbst heterosexuelle Paare, bei denen sie mehr verdient als er. Auch dann bleiben Frauen nach ihrer Untersuchung häufig die »Managerinnen des Alltags« und arbeiten in der Summe im Haushalt mehr. Besonders vertrackt: Je progressiver Paare sich selbst sehen, umso mehr werden Geschlechterungleichheiten schön geredet.

Der Gender Gap in den Köpfen

Geschlechterstereotype Vorstellungen zahlen sich für Männer meist in barer Münze aus: Selbst bei gleichen Erwerbsbiografien bleibt für Frauen eine Verdienstlücke von etwa sechs Prozent, heißt es im aktuellen Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine mögliche Erklärung dafür liefert eine Studie, bei der Frauen und Männer die Gehälter fiktiver Personen bewerten sollten. »Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Frauen als auch Männer geringere Löhne für Frauen als gerecht empfinden, auch wenn alle anderen Merkmale wie Tätigkeit, das Alter oder die Arbeitsleistung gleich sind.« Je älter die befragten Personen seien, um so größer sei auch der »Gender Gap« in den als gerecht empfundenen Löhnen. »Das Muster entspricht also weitgehend den tatsächlich vorhandenen Verdienstunterschieden - es scheint, als würden sich im Berufsleben erfahrene Ungleichheiten in stereotypen Einstellungen widerspiegeln«, sagt Jule Adrians, eine der Studienautorinnen des DIW.

Die unterschiedliche Bezahlung in den »typischen« Frauen- und Männerberufen dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass der Gender Pay Gap nach den Zahlen des DIW bereits bei 30-Jährigen neun Prozent ausmacht. Erst danach entwickeln sich die Erwerbsbiografien auseinander. Während Männer aufsteigen, gehen Frauen in die Babypause und arbeiten danach Teilzeit. Bei 49-Jährigen liegt die Lohndifferenz bei 28 Prozent. Und wie sich all die kleinen Entscheidungen, Benachteiligungen oder fehlenden Seilschaften im Ergebnis für Frauen potenzieren, zeigt der »Pension Pay Gap«, der Rentenunterschied zwischen Männern und Frauen, der laut dem WSI derzeit bei 53 Prozent liegt. Das bedeutet zwar nicht, dass alle Männer im Alter mehr doppelt so reich wären wie Frauen. Aber dass es ein strukturelles Abhängigkeitsverhältnis und ein deutlich höheres Armutsrisiko für Frauen gibt.

Vieles ließe sich mit politischem Willen ändern - zum Beispiel, dass in den Vorständen der größten börsennotierten Unternehmen weniger Frauen sitzen als 1920 in der Weimarer Nationalversammlung (acht Prozent). Mit den Mustern in den Köpfen ist es schwieriger. Wenn hundert Jahre da mal reichen.

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