»Hisbollah kontrolliert jede Ameise«

In Südlibanon kommt der Wiederaufbau voran, UNO-Soldaten beschränken sich auf Präsenz

  • Kartin Leukefeld, Beirut
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jahr nach dem verheerenden Sommerkrieg 2006 geht der Wiederaufbau in Südlibanon allmählich voran. Der Libanon-Mission UNIFIL II begegnet die Bevölkerung mit gemischten Gefühlen.
In Libanon herrscht rege Betriebsamkeit. Straßen und Brücken werden repariert, Häuser aufgebaut, Felder und Gärten von den Streubomben gereinigt, die die israelische Armee bei ihrem Rückzug im August 2006 hinterlassen hatte. Die Aufbauarbeiten in Südlibanon, wo die schiitische Hisbollah die größte Unterstützung hat, werden von Iran und dem Scheichtum Katar unterstützt. Zum Ärger der Regierung von Fuad Siniora geben beide Staaten ihre Hilfsgelder teils indirekt durch die Hisbollah, teils direkt an die Betroffenen weiter. Sie tun das, weil Hilfsgelder in den Banken von Beirut gebunkert wurden oder an Bittsteller flossen, die zwar als Parteigänger des Regierungslagers bekannt sind, deren Hab und Gut aber nicht im Krieg zerstört worden war. Präsent ist auch die UNIFIL, deren 13 300 Soldaten aus 30 Staaten rund um die Uhr patrouillieren. Grundlage des Mandats ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates. Die Truppe arbeite eng mit der libanesischen Armee zusammen, die zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Südlibanon stationiert ist, erläutert Leutnant Stefano Catano vom italienischen Kontingent während einer Patrouillenfahrt entlang der »Blauen Linie«, der Grenze zwischen Israel und Libanon. Man koordiniere sich mit der libanesischen Armee, die eingreife, falls es nötig erscheine. Deutsche Marinesoldaten patrouillieren derweil ein Gebiet von 5000 Quadrat-Seemeilen vor der Küste. 7000 Schiffe wurden abgefragt, 33 kontrolliert, keines habe Waffen transportiert, erläutert Leutnant Daniel Auwermann aus Flensburg im UNIFIL-Pressebüro in Naqoura. Die UNIFIL-II-Mission, Nachfolger von UNIFIL I (1978 bis 2006), sei eine »Erfolgsgeschichte«, ergänzt UNIFIL-Sprecherin Yasmina Bouziane, besonders die trilaterale Zusammenarbeit zwischen den Israelis, Libanesen und der UNIFIL als Vermittler gebe Hoffnung auf Frieden und Stabilität. UNIFIL sucht den Kontakt zur Bevölkerung, veranstaltet Sprach-, Yoga- und Computerkurse, hilft bei der Beseitigung der Kriegsschäden und bei der medizinischen Versorgung. Am 25. Juli wird in Naqoura ein Park eingeweiht, das Gelände war zuvor von UNIFIL-Truppen entmint worden. Ob die Terminwahl etwas mit dem 25. Juli 2006 zu tun hat, ist unklar. Damals zerstörte die israelische Luftwaffe einen UN-Beobachterposten bei Khiam. Das Gebäude war deutlich als UN-Einrichtung gekennzeichnet, wurde aber den ganzen Tag von israelischen Panzern und aus der Luft beschossen. Das UN-Hauptquartier in New York hatte sich zuvor eingeschaltet und forderte sechs Mal die israelische Seite auf, die Bombardierung des UNO-Postens einzustellen. Zehn Mal telefonierte die Besatzung des Postens selber mit der israelischen Einsatzzentrale, vergeblich. Um 18.30 Uhr zerstörten vier Granaten den Bunker, eine Stunde später folgte der tödliche Angriff. Das UNO-Personal, vier Männer aus Österreich, China, Finnland und Kanada, starben in den Trümmern des Gebäudes. Der Angriff auf einen UNIFIL-Konvoi Ende Juni, bei dem sechs spanische UNO-Soldaten getötet wurden, mag böse Erinnerungen geweckt haben. Die Hintergründe werden derzeit von der UNO, der libanesischen Armee und der Polizei untersucht. Zwei Wochen lang hätten die Soldaten die Stützpunkte nicht verlassen, berichtet Sami al Borderlais, der direkt gegenüber vom UNO-Hauptquartier in Naqoura ein kleines Restaurant betreibt. Als Mitte Juli erneut eine Bombe neben einem UNO-Fahrzeug explodierte, gab es wieder zwei Tage Ausgangssperre. Für Sami al Borderlais ist UNIFIL ein Glücksfall, ohne die Soldaten hätte er kein Einkommen. Doch nicht alle sind glücklich mit den Truppen in Südlibanon. »Ein Stau in einem Dorf, haben sie so etwas schon einmal gesehen«, kritisiert Haydar Hassan (30), der im Café seines Bruders in Bayada arbeitet. Die schweren UNO-Fahrzeuge verursachten Lärm, Staub und Abgase, meint Hassan weiter, aber die Soldaten seien »ganz nett«, viel tun könnten sie freilich nicht. »Die UNIFIL braucht selber Schutz«, sagt er nachdenklich. Besser wäre, sie würden mit Hisbollah kooperieren, denn »die kontrollieren hier jede Ameise, die sorgen für Sicherheit.«
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal