nd-aktuell.de / 13.03.2020 / Berlin / Seite 12

Nourie und Kalle wollen Tarif

Die Beschäftigten des Humanistischen Verbandes streikten für bessere Löhne

Jörg Meyer

»Ob Nourie, ob Kalle, TV-L für alle!« Die Parole schallt laut durch die Wallstraße in Mitte. Rund 250 Beschäftigte des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Landesverband Berlin Brandenburg (HVD-BB), haben an diesem Mittwoch die Arbeit niedergelegt und demonstrieren vor dem Gebäude ihres Arbeitgebers. Es ist der erste Warnstreik beim HVD-BB mit seinen rund 1300 Beschäftigten. Dem ganztägigen Ausstand vorausgegangen waren mehrere aus Sicht der Gewerkschaften GEW und Verdi ergebnislose Verhandlungsrunden mit der Paritätischen Tarifgemeinschaft (PTG) in den letzten Monaten. Der bestehende Haustarifvertrag ist seit Anfang des Jahres in der Nachwirkung. Er ist zum 31. Dezember ausgelaufen und gilt so lange unverändert weiter, bis ein neuer Abschluss unterschrieben auf dem Tisch liegt.

Konkret fordern die Beschäftigten einen Stufenplan zur Angleichung an den Tarifvertrag der Länder (TV-L) und sechs Prozent mehr Geld. »Ihr wollt völlig zu Recht das Gleiche verdienen wie Eure Kolleginnen und Kollegen im TV-L«, ruft Gewerkschaftssekretär Udo Mertens, der für die GEW die Verhandlungen führt, von der Bühne. Die Beschäftigten jubeln und pfeifen. Ein Angebot der Arbeitgeber aus dem Oktober kritisieren die Gewerkschaften, unter anderem weil es für einige Kolleg*innen weniger Einkommen bedeuten würde.

Auf die Frage, warum sich die Tarifverhandlungen so lange hinziehen, sagt Mertens zu »nd«: »Der Arbeitgeber scheint nicht in der Lage zu sein, die Interessen der Kolleg*innen adäquat aufzunehmen.« Man müsse um jeden Cent feilschen, das habe »schon fast Tradition«. Er verhandelt seit 2012 für die GEW mit dem Humanistischen Verband.

Kathrin Becker arbeitet seit

24 Jahren im Kinderhaus Felix in Marzahn. Die Kita ist an diesem Mittwoch wegen des Streiks geschlossen. »Ich streike, weil es einfach so nicht mehr weitergeht«, sagt Becker. »Die Unterschiede allein in unserem Betrieb, von den Küchenkräften zu den Hausmeistern sind riesig.« Im Vergleich mit dem Tarifvertrag der Länder arbeiten die HVD-Erzieher*innen eine knappe Dreiviertelstunde weniger in der Woche und verdienen bis zu 600 Euro weniger im Monat.

Für Ivo Garbe ist es »ungeheuerlich«, dass eine Erzieherin in der Kita anders verdienen soll als ihre Kollegin im Jugendbereich. »Wir wollen keine Bezahlung nach Kassenlage und Refinanzierung, sondern eine solidarische Tarifarbeit«, sagt der Verdi-Verhandlungsführer.

Der Verband beitreibt rund 60 Einrichtungen in sehr unterschiedlichen Bereichen: Kitas, Sozialstationen, Hospize, Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Die Einrichtungen werden aus vielen Händen finanziert, von Krankenkassen, den Jugendämtern oder der Pflegeversicherung. Das erklärt, warum die Verhandlungen festgefahren sind. Während der HVD-BB sagt, er könne der Erzieher*innen nur so viel zahlen, wie er auch refinanziert bekomme, lehnen die Gewerkschaften eine Bezahlung nach Refinanzierung kategorisch ab.

»Wenn wir das im HVD tariflich festschreiben, machen das die anderen Träger doch genauso«, sagt eine Beschäftigte. Die Parole »Gegen Spaltung: Solidarität!« rufen die Streikenden heute oft. Das Angebot der Paritätischen Tarifgemeinschaft vom Oktober stelle ein Entfernung vom TV-L dar, keine Annäherung.

Der Arbeitgeber sieht sich bei der Frage der Erzieher*innen zwischen Baum und Borke. »Ich kann kein Geld ausgeben, das ich nicht habe, entscheidend ist die Höhe der Zuwendung. Die Alternative wäre die Leistung gar nicht mehr anzubieten und die Menschen nicht mehr beschäftigen zu können«, sagt Sebastian Jeschke, der die Verhandlungen für den die Paritätische Tarifgemeinschaft führt. Der Grund ist, dass der projektgeförderte Jugendbereich von den Bezirken nicht auskömmlich refinanziert sei. Entsprechend können Erzieher*innen da nicht so viel verdienen wie ihre Kolleg*innen beispielsweise in Kitas.

Jeschke verteidigt das im vergangenen Oktober vorgelegte und im Januar verbesserte Angebot: »In weiten Teilen bieten wir mehr an, in anderen eben weniger.« Er kritisiert, dass er bisher nicht einmal die Möglichkeit gehabt habe, das Angebot zu erklären, weil die Gewerkschaften es pauschal abgelehnt hätten. »So führt man keine Verhandlungen.« Die Gewerkschaft sagt dagegen, die Arbeitgeberseite verweigert sich und hat das Angebot noch immer nicht wie gefordert schriftlich vorgelegt. Er sei aber zuversichtlich, sagt Jeschke, dass man in der anstehenden Verhandlungsrunde an diesem Donnerstag »mindestens einen großen Schritt« weiterkomme.

Ob die Demonstrierenden diesen Optimismus teilen ist fraglich. Mit ihrem Streik wollten sie den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen und zeigen, dass sie bereit sind für ihre Forderungen zu kämpfen. Ob das gelungen ist, wird sich in der neuen Verhandlungsrunde an diesem Donnerstag zeigen.