Opportunistisches Kalkül

Max und Moritz analysieren im Chat mit Oliver Kern jede Woche den US-Wahlkampf

  • Max Böhnel und Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Hallo Moritz, wie alt bist du eigentlich?

33 Jahre.

Max und Moritz

Max Böhnel ist USA-Korrespondent des »nd« und lebt seit 1998 in New York. Dort arbeitet er für mehrere Publikationen und Radiosender in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Moritz Wichmann ist Redakteur im Onlineressort des »nd«, sein Schwerpunkt sind die USA. Er studierte Politik und Soziologie in Berlin und New York. Ein Teil seiner Familie lebt in den USA.

Oliver Kern ist Redakteur im Sportressort des »nd«. Er studierte einst in einer Kleinstadt in Ohio. Bis heute hält er sich auf dem Laufenden, was politisch in den USA los ist.

Das heißt, du bist Teil der Sanders Army?

Altersmäßig auf jeden Fall: Ich wurde durch den zweiten Irakkrieg und die Finanzkrise 2008 politisch sozialisiert und habe in Deutschland politisch quasi nur die GroKo erlebt. Meine Generation in den USA ist mit kompromissloser Machtpolitik der Republikaner und nach Kompromiss suchenden Demokraten groß geworden. Nun wollen sie keine Kompromisse mehr, keine Politik der Mitte, für die Joe Biden steht.

Fühlst du dich von deiner Generation im Stich gelassen? Sie hat auch bei den diesjährigen Vorwahlen nicht in den Massen abstimmen, wie es Sanders versprochen hat.

Der beschworene Anstieg der Beteiligung junger Wähler ist tatsächlich weitgehend ausgeblieben. Doch die Folgerung, dass junge Menschen zu »faul« seien, an die Urne zu gehen, ist fragwürdig und politisch fatal ...

Warum das denn?

Es haben diesmal deutlich mehr Ältere gewählt. Das heißt, dass nicht unbedingt weniger junge Menschen abgestimmt haben, sondern nur, dass deren Wahlbeteiligung relativ kleiner wurde. Für Studenten gibt es aber auch kaum Wahllokale an den Unis. An den wenigen stehen sie dann stundenlang an. Da geben manche irgendwann auf. Sie strampeln sich auch im Hamsterrad zwischen Studium und Nebenjobs ab, während Senioren mehr Zeit haben, wählen zu gehen. Da sollte niemand die Nase rümpfen von wegen: »Selbst zum wählen zu faul!« Denn Joe Biden braucht die Stimmen junger Wähler im November.

Hat Sanders denn noch eine Chance?

Ab jetzt müsste er alle Vorwahlen mit mehr als 10 Prozent Vorsprung gewinnen, liegt aber in den Umfragen landesweit etwa 20 Prozent hinten. Am Sonntag steht die nächste TV-Debatte an. Seine Anhänger hoffen, dass Sanders deutlich zeigen kann, dass er die besseren Lösungen hat. Eigentlich müsste die Corona-Krise ja ideal zeigen, warum es ein starkes staatliches Gesundheitssystem für alle braucht, das nur Sanders fordert. Doch ich zweifele, dass das überzeugt.

Haust du dir trotzdem noch die Vorwahlnächte um die Ohren oder wartest du jetzt bis zum 3. November?

Ich bin Wahl-Nerd und grundsätzlich fasziniert von den USA - eine verrückte Gesellschaft, im Guten wie im Schlechten. Also verfolge ich die Vorwahlen weiter. Dafür mache ich aber keine Nächte mehr durch. Spannend wird jetzt, wie lange Sanders im Rennen bleibt, wenn ihm nicht noch eine Sensation gelingt. We will see.

Du bist Datenliebhaber. Wer verhilft denn Biden zum Sieg?

Vor allem ältere Wähler über 50, von denen jüngst in Michigan bis zu 70 Prozent für Biden stimmten. Er gewinnt auch mit großer Mehrheit die Stimmen der Schwarzen. Sie sind historisch vorsichtig, vermeintlich unhaltbare Versprechungen von (weißen) Radikalen zu unterstützen, die dann nicht umgesetzt werden.

Fast alle Ex-Bewerber unterstützen jetzt Biden. Sanders stellt das als Verschwörung des Establishments gegen ihn dar. Aber ist das nicht legitimer politischer Alltag? Vor allem, wenn Biden mehr Wählerschichten anspricht und die Chancen, Trump zu bezwingen, damit größer erscheinen.

Viele führende Demokraten sind über 70. Im Mainstream mitzuschwimmen liegt in ihrem Interesse. Sie kalkulieren opportunistisch: Biden wird gewinnen, also schlage ich mich auf seine Seite. Das alles ist wenig prinzipientreu. Und Sanders ist das perfekte Gegenbild dazu. Aber eins ist klar: Die Moderaten haben sich konsolidiert, die Linke nicht.

2016 sagten die meisten Wähler, dass sie weder Trump noch Clinton mochten. Du warst erst kürzlich drüben. Wie ist jetzt die Stimmung?

Clinton wurde jahrzehntelang von den Republikanern als Lieblingsfeindin aufgebaut. Biden hat nicht dieses enorme Gepäck. Und die Demokraten, mit denen ich gesprochen habe, wollen mit überwältigender Mehrheit »Trump aus dem Amt jagen«. Die Partei ist da sehr geeint.

Viele junge Aktivisten waren 2016 sauer, dass Sanders verlor und haben Clinton nicht gewählt. Passiert das jetzt wieder?

2016 war Trump nur eine theoretische Bedrohung. Jeder dachte, Clinton würde auf jeden Fall gewinnen, da war eine Proteststimme für Drittkandidaten vermeintlich weniger »schlimm«. Auch jetzt drohen Aktivisten mit Wahlenthaltung, um von Biden Zugeständnisse einzufordern. Vermutlich werden sie aber zum allergrößten Teil für Biden stimmen. Ob sie wie für Sanders auch im November für Biden an Hunderttausende Haustüren klopfen und die Bürger überzeugen werden, zur Wahl zu gehen, kann ich mir aber nicht vorstellen. Vor allem wenn Biden keine oder kaum inhaltliche Zugeständnisse machen wird.

Mal sehen, ob sie beim großen Corona-Durcheinander überhaupt noch vor die Tür gehen dürfen.

Hier geht es zu Folge 1 von »Max und Moritz«: Onkel Joe ist aufgestanden

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