nd-aktuell.de / 21.03.2020 / Wissen / Seite 14

Das Netzwerk der Büchsenspanner

40 Jahre nach dem Mord an dem Befreiungstheologen und Erzbischof Oscar Romero

Peter Bürger

Als am 24. März 1980 die Schüsse fielen und Erzbischof Oscar Romero y Galdámez vor dem Altar einer Krankenhauskapelle in der Hauptstadt El Salvadors zusammenbrach, musste man nicht über die Drahtzieher rätseln. Es war klar, wer dem 1917 geborenen Geistlichen den Tod wünschte: das diktatorische, auf das Militär gestützte Regime, das jenes kleine, nach dem »Erlöser« benannte Land seit 1972 beherrschte, als die Opposition um einen Wahlsieg betrogen worden war. In Predigten hatte Romero die Ursachen der zunehmenden Gewalt in seiner Heimat klar benannt: »Die Verabsolutierung des Reichtums und Privateigentums bringt die Verabsolutierung der politischen, ökonomischen und sozialen Macht mit sich, ohne die es nicht möglich ist, die Privilegien aufrechtzuerhalten (...). In unserem Land ist das die Wurzel der repressiven Gewalt.«

Die winzige begüterte Minderheit wollte an einem Status quo festhalten, der von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wurde. Das System gründete sich Romero zufolge nur noch auf »der Herrschaft des Geldes und der Macht eines gekauften Militärs«. Diese Zustände hatten sich in den späteren 1970er Jahren dermaßen zugespitzt, dass Romero - der lange als Konservativer galt - eine Kehre vollzog: Spätestens der März 1977, als kurz nach seiner Ernennung zum Erzbischof von San Salvador sein Freund Pater Rutilio Grande García getötet wurde, machte Romero zum weltweit so geachteten wie anderen verhassten Fürsprecher einer Kirche der Armen. Und im weiteren Sinn auch zu einer Galionsfigur der Befreiungstheologie, die sich seit den 1960ern in Lateinamerika verbreitete und sich in ihrer Basisorientierung gegen die dort bald allerorts herrschenden rechten Militärdiktaturen wandte.

Anschlag mit Ankündigung

»Wer stört, wird umgebracht«: Das war Oscar Romero klar. Tatsächlich waren schon im Vorfeld des zwischen 1980 und 1991 tobenden Bürgerkrieges in El Salvador, als dessen Fanal Romeros Ermordung wirkte, Hunderte Frauen und Männer aus kleinbäuerlichen Gemeinschaften ermordet worden, darunter auch fünf Armenpriester. Was ihn aber wirklich schmerzte, waren die innerkirchlichen Attacken.

Gerade diese gilt es heute zu vergegenwärtigen. Denn sonst droht seine 2015 und 2018 durch den Jesuitenpapst Franziskus gegen Widerstände vollzogene Heiligsprechung eine lange Geschichte politischer Kumpanei mit mörderischen Regimes zu verdecken. Im Sinne der Zeitgeschichte wie auch der Kirche ist das aufzuarbeiten: Romero war nicht nur der »Heilige der Liebe«, zu dem ihn manche nun zu verniedlichen trachten. Er war ein Mann des Glaubens, den aber die Umstände zu einer hochpolitischen Figur gemacht hatten.

Zeitgenössisch standen gegen ihn die Bischofskonferenz des eigenen Landes - mit Ausnahme von Arturo Rivera y Damas -, der Apostolische Nuntius in El Salvador und äußerst einflussreiche Kardinäle. Bischof Aparicio von San Vicente etwa verteidigte stets die Polizei und exkommunizierte Priester, die den mit der Oligarchie verbandelten Vatikanvertreter kritisierten. Wie James R. Brockmann in seiner Romero-Biografie notiert, verkündete Aparicio 1979 bei der lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla gegenüber der Presse, die Jesuiten seien »für die Gewalttätigkeiten in El Salvador verantwortlich«. Speziell Romero stehe unter marxistischem Einfluss - und die »Verschwundenen« im Land hielten sich nur versteckt oder hätten »sich der Guerilla angeschlossen«. Rebellische Priester, so behauptete er weiter, bildeten Kinder für einen Bürgerkrieg aus.

Auch Bischof Barrera von Santa Ana predigte einen angeblich gottgewollten Gehorsam gegenüber der »Staatsautorität«. Weihbischof Marco René Revelo Contreras ließ sich vom Vatikan als Überwacher einspannen, der Romero zähmen sollte. Er arbeitete den Mördern von Christenmenschen mit Meldungen wie dieser zu: »Die am besten ausgebildeten Katechisten auf dem Lande (…) fallen rasch in das Netz der kommunistischen Partei und der extremen linken Maoistengruppen.« Noch ein knappes Jahrzehnt nach Romeros Tod reiste Revelo nach Rom, um dort zu behaupten, dass jene sechs Jesuiten, die samt ihrer Mitarbeiterin Julia Elba Ramos und deren Tochter Celina am 16. November 1989 vom Militär ermordet worden waren, tatsächlich der linken Guerilla zum Opfer gefallen seien. Und José Eduardo Alvarez, Militärbischof des Regimes, trug sowieso am liebsten Uniform.

Dass dieser Mann, gemeinhin als »der Oberst« bekannt, im November 1979 zum Präsidenten der salvadorianischen Bischofskonferenz gewählt wurde, gehört bereits zum engeren Vorfeld des Mordes. Eine Kirche mit solchen Bischöfen brauchte keine Feinde, um in Teufels Küche zu kommen. Zunehmend betrieb man Romeros öffentliche Demontage, etwa durch Kampagnen um Gebetsketten, Exorzismus und Zeitungsanzeigen. Ein Eiferer »exkommunizierte« den Erzbischof sogar. Der in den USA militärisch geschulte Politiker Roberto D’Aubuisson Arrieta, der dann den Mord in Auftrag geben sollte, beschwor eine »papsttreue, wahre Kirche«.

Doch brauchte diese Delegitimierung Resonanz im Vatikan. So gehört auch jener Machtwechsel in Rom zur Vorgeschichte des Attentats, der sich 1978 vollzog: Der bis dahin amtierende Papst Paul VI. hatte hinter Romero gestanden, auch nach dessen Schwenk zur Kirche der Armen. Seit Oktober 1978 aber residierte dort Karol Wojtyla als Johannes Paul II. Er erwies sich als empfänglich für die Angriffe. So schrieb ihm der gleichfalls in Polen geborene US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński ganz offen: »Wir haben den Erzbischof und seine Berater mit Nachdruck vor einer Unterstützung der extremen Linken gewarnt. Leider (…) nicht erfolgreich.« Offenbar kooperierte der Heilige Stuhl gegen seinen unliebsamen Erzbischof mit Washington. So geriet ein Schreiben Romeros an den Vatikan, in dem er den päpstlichen Nuntius in El Salvador kritisierte, in die Hände der dortigen US-Botschaft.

Resonanz im Vatikan

Romero und Johannes Paul II. haben sich zweimal getroffen. Nach der ersten Audienz im Mai 1979 war Oscar Romero geradezu deprimiert von den antikommunistischen Ermahnungen des Papstes. Eine zweite Audienz am 30. Januar 1980 soll dann etwas freundlicher verlaufen sein. Doch weiterhin konnten mächtige Kardinäle ihre Schlinge um den Hals des Erzbischofs enger ziehen. Der Nachfolger Petri bot keinen Schutz, schon gar nicht öffentlich. Diese Haltung setzte sich bis in jüngere Vergangenheit fort - in Gestalt von Joseph Ratzinger. Der Intimus und Erbe Johannes Paul II. begann als Präfekt der Glaubenskongregation seinen Feldzug gegen die Befreiungstheologie zwar erst nach Romeros Ermordung, hielt aber gnadenlos Kurs. 1988 maßregelte er den brasilianischen Bischof Pedro Casaldáliga auch wegen dessen Märtyrerhymne auf Romero - und verpasste etwa dem Jesuiten Jon Sobrino, einem theologischen Mitarbeiter des Erzbischofs, wiederholt einen Maulkorb. Zuletzt noch 2007.

Schlüsselfigur in der Verfolgung Romeros ist aber Erzbischof Emanuele Gerada, der von 1973 bis 1980 Nuntius in El Salvador und Guatemala war. Sein Hass gründete sich auch auf Enttäuschung, denn er hatte Romero selbst als Erzbischof vorgeschlagen. Um so erbitterter war er, als sich sein Kandidat vom Konservatismus zur Kirche der Armen bekehrte und bald einer ihrer Vorreiter wurde. Darüber hinaus hatte Gerada dieselbe auch persönlich zu fürchten. 1978 und 1979 schickten Hunderte Priester und Ordensfrauen Protestbriefe nach Rom, in denen sie ihn als Verteidiger der Oligarchie und Mitschuldigen an der Gewalt auch gegen Kirchenleute benannten.

Die Jagd auf Romero spitzte sich ab 1978 zu. Der guatemaltekische Kardinal Mario Casariegio y Acevedo arbeitete an seiner Absetzung, der argentinische Kardinal Antonio Quarracino schlug dem Vatikan Ende 1978 vor, Romero einen Apostolischen Administrator vorzusetzen. Der dem Opus Dei nahestehende Kurienkardinal Sebastiano Baggio - der schon 1964 als Nuntius in Brasilien viel Verständnis für die Diktatur hatte -, zählte ebenso zu diesen unheiligen Büchsenspannern wie der Apostolische Delegierte in Washington, Erzbischof Jean Jadot: Dieser versuchte etwa, die dortige Georgetown-Universität zu überreden, ein für Romero vorgesehenes Ehrendoktorat zurückzustellen.

Im März 1980 hatten sich dann die Kurienkardinäle Silvio Angelo Pio Oddi, Franjo Šeper und Sebastiano Baggio verabredet, dem Papst eine Amtsenthebung zu empfehlen. Wenige Tage später wurde Romero erschossen. Zuletzt hatte er gegen US-Waffenlieferungen an das Regime protestiert - und Soldaten zur Befehlsverweigerung aufgerufen. Noch die Trauerfeier endete blutig: Aus Angst vor einem Zugriff kam es zu einer Massenpanik, die 40 Leben forderte.

Doppelte Aufarbeitung

Seit einigen Jahren übt eine liberale Öffentlichkeit Druck auf die katholische Kirche aus, ihre lange weggedrückte Geschichte von sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten. Erst der jetzige Papst scheint dazu bereit zu sein - auch wenn er ansonsten die Reformkräfte immer wieder enttäuscht, gerade in Fragen der Geschlechtlichkeit. Doch sollte darüber erstens nicht vergessen werden, dass unter Franziskus römische Katholiken endlich Meinungsfreiheit genießen - und sich der Vatikan zu diesen für die Kirche heiklen Fragen noch immer so freundlich äußert wie nie. Und zweitens hat Franziskus, indem er Romero auch offiziell zu dem Heiligen erhob, der er der Kirche der Armen schon lange war, das Fenster geöffnet für die Aufarbeitung einer Geschichte, die jener liberalen Öffentlichkeit vielleicht etwas weniger dringlich erscheint - die Geschichte jenes Krieges gegen die Befreiungstheologie: Wie hat der Vatikan dazu beigetragen, dass sich im tiefkatholischen Südamerika brutale, oft vom demokratischen Westen gestützte und geduldete Regimes etablieren konnten? Das wird jetzt auch in der Kirche diskutierbar.

Am Beispiel der Front gegen Romero zeigt sich derweil, dass diese beiden Aufarbeitungsfelder überraschend oft zusammenfallen: Zwei der oben erwähnten Kirchenhierarchen, die sich als Gegner Romeros sowie der Kirche der Armen profilierten, sind auch Gegenstand des 2019 erschienenen Buchs »Sodom«, in dem der Enthüllungsjournalist Frédéric Martel sexualisierter Gewalt in der Kirchenhierarchie nachgeht: die Kardinäle Quarracino und Baggio. Und als ein dritter prominenter Fall ist der Kolumbianer Alfonso López Trujillo zu nennen, Generalsekretär der lateinamerikanischen Bischofskonferenz und später Kurienkardinal. Dieser Mann, noch in Joseph Ratzingers Pontifikat ein mächtiger Blockierer jeder Ehrung Romeros, führte ein Doppelleben und missbrauchte zahlreiche Theologiestudenten sowie männliche Prostituierte.