Parolen im Netz

Ein Revival der Online-Demonstration in Zeiten von Corona. Von Peter Nowak

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Attacke, Attacke, Tiefbahnhof ist Kacke«, skandieren die Demonstrant*innen. Seit Jahren hört man derartige Parolen in Stuttgart jeden Montag, wenn in der Innenstadt gegen Stuttgart 21 demonstriert wird. Doch am vergangenen Montag gab es eine Premiere: Aufgrund der Corona-Pandemie wurde erstmals virtuell gegen das Bahnprojekt demonstriert. »Kappella Rebella« hieß das Team, das die entsprechenden Parolen samt Blasmusik im Studio aufgenommen hat.

Der bekannte Stuttgart-21-Gegner und Stadtrat der Linken im Stuttgarter Gemeinderat, Tom Adler, erklärte seinen Zuhörer*innen auf der Online-Demo noch: »Wir sind politische Aktivist*innen und keine Internetexpert*innen.« Doch das könnte sich in den nächsten Wochen ändern. Nachdem im Zuge der Coronakrise alle öffentlichen Veranstaltungen und Proteste abgesagt wurden, entdecken viele Aktivist*innen das Internet als Medium der politischen Kommunikation und des Protests. So bereiten die Mietaktivist*innen, die eigentlich am 28. März in verschiedenen Städten gegen den Mietenwahnsinn auf die Straße gehen wollten, derzeit digitale Aktionen vor. Und auch die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU) will in den nächsten Wochen ihre Treffen und Vollversammlungen ins Internet verlegen.

Derartige Onlineproteste sind allerdings so neu nicht. Bereits vor 19 Jahren, auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung, sorgte besonders eine Onlinedemonstration für Aufsehen. Im Sommer 2001 hatte ein linkes Bündnis eine antirassistische Online-Demonstration gegen den Lufthansakonzern organisiert. Mit einer Software wurde die Homepage des Flugunternehmens angegriffen, um gegen Abschiebungen durch die Airline zu protestieren. Die Online-Demonstration war angemeldet und fand großes mediales Interesse. Die anschließende Auseinandersetzung über ihre Rechtmäßigkeit ging durch mehrere juristische Instanzen. 2006 entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Sinne der Antirassist*innen: Online-Demonstrationen sind weder Gewalt noch Nötigung. Ein Unternehmen wie die Lufthansa, das einen Großteil seiner Geschäfte digital abwickelt, müsse auch digitale Proteste akzeptieren. Obwohl damit das Demonstrationsrecht im Internet gestärkt wurde, organisierte man Proteste weiterhin zumeist in der analogen Welt. Was mit den Jahren zunahm, waren Online-Petitionen, die mit On- und Offline-Kampagnen einhergingen und deren Unterschriftensammlungen auf analogem Wege Politikern überreicht wurden. Bereits 1998 wurde in den USA MoveOn gegründet, die zu Unterschriften gegen ein Amtsenthebungsverfahren von Bill Clinton aufriefen. MoveOn diente in Deutschland Campact als Vorbild, die 2004 an den Start gingen. Onlinedemonstration selbst aber blieb die Ausnahme.

Das hatte mehrere Gründe. Die globalisierungskritische Bewegung hatte 2001 ihren Höhepunkt überschritten. Die Hoffnung vieler Linker vor 20 Jahren, dass das Internet ein Mittel für eine emanzipatorische Gesellschaft sein könnte - diese Überzeugung prägte sowohl die Entstehung des transnationalen Onlineprojekts Indymedia Ende 1998 wie auch die Onlineproteste gegen die Lufthansa - erwies sich als Trugschluss. Die Ernüchterung über die Rolle des Internets setzte bald ein, und Proteste wurden wieder überwiegend in der Realwelt organisiert.

Im Zuge der Coronakrise wird nun wieder verstärkt auf digitale Protestformen zurückgegriffen. Doch ob hierin die Zukunft von Protestbewegungen liegt, muss bezweifelt werden. Bewegungsforscher*innen sehen die Stärke des Internets vor allem in der Kommunikation zwischen Gruppen, aber auch in der Organisierung solidarischer Netzwerke, die in der Coronakrise Menschen im Kiez oder am Arbeitsplatz unterstützen. Demonstrationen hingegen leben vom direkten Austausch und der Kommunikation zwischen den Menschen. Dies ist in Zeiten von Social Distancing, das in der Corona-Krise immer wieder propagiert wird, kaum möglich. Und diese soziale Distanz wird auch durch digitale Proteste nicht überwunden. Die Ära der Straßenproteste dürfte daher noch lang nicht vorbei sein.

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