nd-aktuell.de / 21.03.2020 / Politik / Seite 5

»Das kann auch mal 24 Stunden dauern«

Elisa S., Krankenpflegerin in einer Rettungsstelle in Berlin

Johanna Treblin (protokolliert)

Überall gibt es gerade viele Unsicherheiten. Das gilt für uns in der Rettungsstelle sowohl für das Personal als auch für die Patienten. Die Basics sind natürlich klar: Was sind die Symptome für Coronavirus, und wen müssen wir testen? Aber jeden Tag kommen neue Regelungen, an die wir uns halten müssen, und wir müssen dann intern klären, wie wir sie umsetzen. Als es hieß, in die Kliniken dürfen keine Besucher mehr rein, haben wir Angehörige, die Kranke begleitet haben, gebeten, draußen zu warten. Die waren zum Glück alle sehr verständnisvoll. Aber was machen wir mit Eltern, die ihre Kinder begleiten? Solche Sachen müssen wir klären.

Und dann kommen viele Patienten, die verunsichert sind. Ich hatte neulich einen jungen Mann, der von Erkältungssymptomen berichtete und unbedingt getestet werden wollte. Er sei schon bei seinem Hausarzt gewesen, dessen Diagnose er aber wohl nicht vertraute. In solchen Situationen heißt es für uns abzuwägen. Gibt es objektiv keine Symptome und hatte er keinen Kontakt zu COVID-19-Infizieren, gibt es keinen Grund, ihn zu testen. Ich hatte zum Glück ausnahmsweise genug Zeit, um mich eine halbe Stunde mit ihm hinzusetzen und ihm zu erklären, was es bedeuten würde, ihn - ohne Verdacht - zu testen: Wir müssten ihn in ein Isolationszimmer legen, bis das Testergebnis da ist. Das kann auch mal 24 Stunden dauern. Und für uns bedeutet das jedes Mal, eine Menge Material zu verbrauchen: Ich muss mich ja bei jedem Kontakt komplett verkleiden, Mundschutz tragen und so weiter. Und der Normalbetrieb läuft auch weiter. Wenn jemand mit einem Herzinfarkt oder Autounfall kommt, dann brauchen wir die Betten. Deshalb sollte da niemand liegen, der hauptsächlich Angst, aber wahrscheinlich kein Corona hat. Sonst haben wir am Ende Zustände wie in Italien, wo schon junge Menschen nach einem Verkehrsunfall gestorben sind, weil es im Krankenhaus nicht genügend Betten gab. Das macht mir wirklich Sorgen, dass es hier auch zu solchen Situationen kommen könnte. Diese halbe Stunde, die ich mit dem Patienten gesprochen habe, war Gold wert. Aber normalerweise habe ich dafür gar keine Zeit.

Lesen Sie auch: »Für den Ernstfall müssen wir die Betten freihalten« - Käte Kalhorn, Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem Krankenhaus in Berlin-Mitte[1] und Plötzlich zählt die Arbeit - Das Gehalt ist normalerweise entscheidend für die gesellschaftliche Anerkennung eines Berufs. Derzeit ist das anders[2]

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134576.corona-fuer-den-ernstfall-muessen-wir-die-betten-freihalten.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134563.corona-und-oekonomie-ploetzlich-zaehlt-die-arbeit.html