nd-aktuell.de / 24.03.2020 / Berlin / Seite 7

»Alle Menschen über 70 sollten in Quarantäne«

Gesundheitssenatorin will Präventivmaßnahmen stärker fokussieren - kaum Reserven bei Schutzausrüstungen

Tomas Morgenstern

Am Montag, dem Tag eins nach Inkrafttreten der vom Senat verschärften »Kontaktbeschränkungen im Stadtgebiet von Berlin«, zeigen leere Straßen und Plätze, dass die Coronakrise die Hauptstadt fest im Griff hat.

Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses informierte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag, dass es bis zum Morgen in der Stadt 1071 bestätigte Fälle von Infektionen mit dem Coronavirus gab. 42 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt in Krankenhäusern isoliert, von denen 22 intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Zudem bestätigte Kalayci einen zweiten Todesfall - ein 70-jähriger Mann sei im Krankenhaus Friedrichshain an der Infektion gestorben, sagte sie.

Aus diesem Anlass verwies Kalayci vor den Ausschussmitgliedern auf die besondere Gefährdung der älteren Berliner und erneuerte ihren Appell an Senioren und alle anderen Angehörigen von Risikogruppen, ihre Wohnungen möglichst nicht mehr zu verlassen. Zwar beträfen derzeit rund 46 Prozent aller Coronafälle Menschen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren, doch verlaufe bei ihnen die Krankheit meist unkompliziert. Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen hätten ein ungleich höheres Risiko, schwer zu erkranken oder gar zu sterben. »Mein Vorschlag lautet: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, alle über 70-jährigen Menschen in Quarantäne zu nehmen«, sagte die Senatorin. Sie rief Familienangehörige, Freunde und Nachbarn zur Solidarität mit den Betroffenen auf - bei Wahrung der Hygiene- und Kontaktregeln. Wer Körperkontakt oder Nähe nicht vermeiden könne, sollte dabei vielleicht »einfach mal den Mund halten«, um das Risiko einer Tröpfcheninfektion zu minimieren.

Der Senatorin zufolge dienen sämtliche von den Behörden ergriffenen Schutzmaßnahmen dem Ziel, durch eine Verlangsamung der Zahl der Neuerkrankungen eine drohende Überlastung des Gesundheitswesens in der Stadt zu verhindern. Dem Robert-Koch-Institut zufolge würden die Fallzahlen in Deutschland exponentiell steigen. Man befinde sich erst am Anfang.

Nicht in jeder Beziehung ist die Stadt gewappnet, um die Coronakrise angemessen zu bewältigen. Laut Kalayci verfügen weder Krankenhäuser noch Pflegeeinrichtungen über eine hinreichende Ausstattung mit Schutzausrüstungen wie Masken, Kittel und Handschuhe. Die Reserven gingen zur Neige, und bestellte Nachlieferungen blieben aus.

Andererseits verfügt Berlin über eine im Bundesvergleich hohe Zahl von 1045 Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeiten. Derzeit sind davon 20 Prozent frei verfügbar, jedoch soll die Kapazität für schwere Coronafälle auf 60 bis 70 Prozent erhöht werden. Die Laborkapazität sei auf 3000 Tests pro Tag gesteigert worden und soll 10 000 erreichen. Neue Untersuchungsstellen hätten in Köpenick und Spandau eröffnet.