Keine Macht für Uber

Mobilität für alle gibt es nur, wenn Kommunen die Spielregeln bestimmen können.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.

Uber überall. Wie eine Spinne sitzt die US-amerikanische Internet-Plattform in der Mitte eines dichten Netzes unterschiedlichster Mobilitätsangebote. Ob es der eigene taxiähnliche Fahrdienst ist, mit dem Ubers Aufstieg begann, Tickets für den Nah- und Fernverkehr, Leihräder, Sammeltaxen oder Essenslieferung, Logistik und noch vieles mehr. Für die Vermittlung nimmt der Konzern saftige Provisionen, Vertragspartner wie Verkehrsbetriebe kommen aus dem für sie ungünstigen Geschäft nicht heraus, weil die Bevölkerung die so praktische Handy-App derart liebt, dass Versuche, sich davon zu befreien, in Proteststürmen münden.

Diese Dystopie ist eines der Szenarien, die Zukunfts- und Verkehrsforscher in der Studie »Mobilitätsdienstleistungen gestalten« im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt haben. »Es gibt überall Monopolisierungstendenzen. Das Ziel von Plattformen ist, die Nutzer gefangenzuhalten«, sagt Ingo Kollosche zu »nd«. Der Mitautor der diese Woche erschienenen Studie ist Forschungsleiter für den Bereich Mobilität am Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Neben regulatorischen Fragen widmet sich die Arbeit der sozialen Dimension der neuen Verkehrsangebote. »Die ist bisher viel zu kurz gekommen, bisher geht es in Untersuchungen vor allem um verkehrliche Aspekte«, so Kollosche.

»Mobilität ist durch die Plattformen ein handelbares Gut geworden«, sagt der Wissenschaftler. »Diese Unternehmen schaffen einige Arbeitsplätze im höherqualifizierten Bereich. Viele Leute stellen diese aber selber gar nicht ein, schließlich gehört denen kein eigenes Auto«, erklärt Kollosche. Die größten Beschäftigungseffekte gebe es in oft prekären Dienstleistungsberufen, wie den Fahrern. Den Berliner Sammeltaxidienst Berlkönig nimmt er von dieser Einschätzung aus. Der Dienst im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird von einem Joint Venture des US-amerikanischen Technologieunternehmens Via und dem deutschen Automobilhersteller Mercedes-Benz durchgeführt. Die Fahrer sind fest angestellt und verdienen meist mehr als ihre Kollegen in der Taxibranche.

Nichts für Geringverdiener

»Bei den Ridepooling-Diensten ist es eine wichtige Frage, an wen solche Angebote gerichtet sind und wer sich damit aus dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) herauskauft«, sagt Christoph Aberle, Mitarbeiter des Projekts MobileInclusion der Technischen Universitäten von Hamburg und Berlin, in dem die soziale Ausgrenzung in der Mobilität untersucht wird. Er hat die Sammeltaxidienste in der Hansestadt in dieser Hinsicht untersucht. Der zum Autokonzern Volkswagen gehörende Anbieter Moia solle explizit Menschen ansprechen, die jetzt Auto fahren, berichtet Aberle. Mit Preisen unter Taxiniveau, aber über jenen von Fahrkarten für den ÖPNV sei das »in der Regel keine Option für Geringverdiener«. »In einem sehr düsteren Szenario bedeutet es, dass viele Leute sagen: Ich habe keine Lust auf den Linienbus und zahle mehr für dieses Angebot«, sagt der Forscher. Das passiert in den Metropolen der USA bereits jetzt. Vor allem im Busnetz, aber auch beim Schienenverkehr haben Städte wie New York und San Francisco bereits empfindliche Fahrgasteinbußen erlebt. »Ich gehe nicht davon aus, dass die Versuche, die gerade in Berlin oder Hamburg gemacht werden, den öffentlichen Personennahverkehr substanziell schädigen«, erklärt Aberle. 3000 bis 4000 Fahrgäste pro Tag seien es derzeit etwa bei Moia an der Elbe, das entspreche gerade mal vier vollen S-Bahnzügen.

»Grundsätzlich bevorzugen die meisten Preismodelle die Menschen, die mehr Geld zur Verfügung haben«, sagt Christoph Aberle. Für eine Vierfahrtenkarte Berlin AB müsse man schon neun Euro auf einmal haben, dann bekomme man knapp 30 Prozent Rabatt - für Empfänger von Hartz IV kann das schon ein Problem werden. Mobilität als Dienstleistung skaliere das noch einmal auf. »Der Mobilitätsanbieter WHIM in der Region Helsinki hat beispielsweise bis letztes Jahr mit Punkten als ›Mobilitätswährung‹ kalkuliert«, nennt er ein Praxisbeispiel. »Der Witz war, dass der Preis pro Punkt immer kleiner wurde, je mehr ich davon kaufte. Im günstigsten Paket kosteten 100 Punkte 8,90 Euro und im teuersten Paket 3,89 Euro.« Die Preisdegression nutze den Vielfahrenden extrem mehr als den Menschen, die nur ab und an mobil sind. »Das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll, hilft aber vor allem denen, die mehr Geld zur Verfügung haben. Wenn Moia langfristig das Auto ersetzen will, macht es für den Anbieter Sinn, ähnliche Modelle umzusetzen.«

Kommunen müssen steuern

»Unsere These ist: Für Mobilität als Bestandteil der Daseinsvorsorge kann kein anderer zuständig sein als die Kommunen«, sagt Ingo Kollosche vom IZT. »Es ist grundsätzlich ein schönes Szenario, diese Mobilitätsdienste und deren Verknüpfung demokratisch legitimiert und öffentlich getragen zu organisieren«, entgegnet Lisa Ruhrort. Doch spiegele sich darin viel »Wunschdenken«. »Die Kommunen sind derzeit dazu nicht in der Lage«, so die Wissenschaftlerin der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

»Wir brauchen zukünftig natürlich neue Kompetenzprofile in der Verwaltung«, sagt Kollosche. Für Kristian Ronneburg, Verkehrsexperte der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, ist klar, dass man die »durch neoliberale Sparorgien ausgehungerte Verwaltung wieder ausbauen muss«, damit sie ihren Aufgaben gewachsen sein kann.

Schlüssel für die verschiedenen Szenarien ist jedoch die anstehende Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes. Denn bisher sieht es die neuen Mobilitätsangebote nicht vor, sie werden, wenn überhaupt, als Experimente genehmigt. Seit vielen Monaten gibt es Arbeitsgruppensitzungen zu dem Thema. »Die Grundidee der Novelle ist nicht falsch: Mehr Angebote zuzulassen, diese aber auch stärker zu regulieren«, so Lisa Ruhrort. Doch erste Ideen des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) hätten Dienste wie Uber eher entfesselt. »So etwas, was Uber in Deutschland anbietet, muss strenger reguliert werden. Dieses rechtlich als Mietwagendienst kategorisierte Angebot hat keinen innovativen Mehrwert. Letztlich ist es ein Taxi, das den Taxipreis unterläuft«, sagt Ruhrort. Das Gesetz »sollte zukünftig klar unterscheiden zwischen einem taxiähnlichen Angebot und Diensten, die mehrere Fahrgäste einsammeln und zumindest einen Teil der Strecke gemeinsam befördern«, fordert Ruhrort. Denn nur diese hätten einen ökologischen Mehrwert. »Ich will, dass der klassische Nahverkehr gestärkt und mit neuen Angeboten kombiniert wird«, macht sie klar.

Klare Regulierung

Die Regulierung sollte die Ridepooling genannten Sammeltaxidienste erlauben, aber gleichzeitig eine Begrenzung durch die Kommune ermöglichen. »Wenn ein Nahverkehrsunternehmen ein flexibles Verkehrsangebot machen will, dann soll es das dürfen. Auch Dienste von privaten Anbietern sollen möglich sein, aber mit klaren Auflagen«, sagt Lisa Ruhrort. Das könnte eine Begrenzung auf einen Anbieter sein oder auch eine Maximalgröße der Flotte. Auch die Preise könnten ähnlich wie beim Taxi reguliert sein, »aber in flexiblerer Form, auf jeden Fall mit einem deutlichen Abstand zum Nahverkehrstarif«, so die Wissenschaftlerin. »Allerdings stehen wir momentan ganz am Anfang so einer Entwicklung, von daher sollte es eine Experimentierphase geben, wo diese Dinge nicht alle so genau vorgegeben sind«, schränkt sie ein. In ihrem Verkehrswendeszenario müsse vor allem der private Autoverkehr zurückgefahren werden. »Nur unter dieser Bedingung können zukünftig Angebote wie der Berlkönig eine bedeutende Rolle spielen.«

»Wir verfolgen das Ziel, dass künftig die Kommunen neue Mobilitätsdienstleistungen steuern und regulieren können, damit ›Neue Mobilität‹ tatsächlich auch allen Menschen, unabhängig von ihrer Wohnlage, zur Verfügung gestellt werden kann und letztlich einen verkehrlichen Nutzen erfüllt«, sagt Linke-Politiker Kristian Ronneburg. Diese müsse letztlich ein weiterer Ansporn sein, den Nahverkehr »attraktiver für die Fahrgäste insgesamt zu machen und den Umstieg von Autofahrer*innen, die meist über ein gutes oder hohes Einkommen verfügen, zu fördern«.

Die Coronakrise könnte den ÖPNV allerdings nachhaltig schädigen. »Ich vermute, dass die Leute die Distanzierung in den Habitus übernehmen werden«, sagt Ingo Kollosche vom IZT. Die Mobilitätswelt werde sich verändern, denn die Attraktivität des Autos sei wieder da. Forscher Christoph Aberle hegt ähnliche Befürchtungen.

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