Jenseits der Kommunalordnung

Wie sich ein kleiner Verlag aus Thüringen mit einem Nischenprogramm behauptet

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ging einfach nicht. Nicht mit Schieben. Nicht mit Drücken. Nicht mit Ziehen. Keine Chance. Selbst der Weg, den Bodo Ramelow, Gregor Gysi, Hans-Dieter Schütt und Landolf Scherzer am Ende der Lesung nehmen sollten, um in einen Nebenraum zum Signieren der Bücher zu gehen, war voller Menschen. Das Interesse an dem Buch, das im Zusammenspiel der beiden Politiker und der beiden Schriftsteller entstanden war, war so groß, dass in diesem Saal des sogenannten Haus Dacheröden in Erfurt an diesem Tag, der jetzt etwa ein halbes Jahr her ist, wirklich kein Platz mehr war. Mehr Menschen gingen einfach nicht hinein.

Für die zwei, vielleicht sogar drei Dutzend Menschen, die damals noch in den Raum wollten, war das freilich eine Enttäuschung. Doch für Frank Kuschel war es einer der glücklichsten Tage in seinem Leben als Geschäftsführer und Gesellschafter des Thüringer Kommunalverlages.

Einen solchen Andrang zu einer Premiere eines in seinem Verlag erschienenen Buches hatte es noch nie gegeben. Ein Glück, das Kuschel an diesem Tag freilich in ein Wechselbad der Gefühle stürzte. Hektisch lief er damals vor Beginn der Lesung durch das Haus, das im Zentrum der thüringischen Landeshauptstadt steht und ein kleines Kulturzentrum ist, und freute sich dabei ebenso über den Ansturm, wie er Menschen vertrösten musste. »Es tut mir leid«, war ein Satz, den er an diesem, seinem Glückstag, mehr als einmal sagen musste.

Das Buch, das an diesem Tag vorgestellt worden war, sagt viel über das Selbstverständnis des Thüringer Kommunalverlages und auch das von Kuschel aus. Und es ist ein Beispiel dafür, dass dieser Kleinstverlag inzwischen seinen kommunalpolitischen Wurzeln entwachsen ist. So, wie vor allem Kuschel das vor Jahren geplant hatte.

Der Titel des Buchs sagt auch eigentlich fast alles über seinen Inhalt aus: »Diesen Weg auf den Höh’n …« steht auf dem Einband, eine Anspielung auf Thüringens heimlich Hymne, das »Rennsteiglied«, in dem die Liebe zum Wandern über die Kammlagen des Thüringer Waldes besungen wird. Darunter steht: »Eine Thüringen Tour«. Mehrere Wandertage lang hatten Schütt und Scherzer das so ungleiche Politpaar Ramelow und Gysi begleitet, die zu Fuß gemeinsam durch Thüringen gestreift waren. Nicht zufällig unmittelbar vor der Thüringer Landtagswahl im Oktober 2019. Die Aktion war natürlich als Wahlkampfhilfe Gysis für Ramelow gedacht, der bei dieser Wahl sein Amt als erster linker Ministerpräsident Deutschlands verteidigen wollte; was den turbulenten Ausgang genommen hat, der mit dem politischen Dammbruch von Erfurt inzwischen deutsche Nachkriegsgeschichte geschrieben hat. Seit ein paar Wochen, auch das ist bekannt, ist Ramelow trotzdem wieder Thüringens Ministerpräsident.

Und so wie die Wanderungen als Wahlkampfhilfe gedacht waren, so war das Buch als Hilfe zur Wahlkampfhilfe gedacht. »Das war ein politisches Projekt«, sagt Kuschel. Weil, da macht er gar keinen Hehl daraus, »der Thüringer Kommunalverlag natürlich auch ein linkes Projekt ist«. Dann schiebt er noch nach: »Das ist bewusst und gewollt.«

Eine wirkliche Überraschung freilich kann das nicht sein, immerhin war Kuschel nicht nur SED-Mitglied - eines, das mit seiner Vergangenheit als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi offen umgeht - und hat heute ein Parteibuch der LINKEN. Er saß zwischen 2004 und 2019 auch als LINKE-Abgeordneter im Thüringer Landtag und war dort der Mann der Fraktion für alles Kommunale.

Aus dieser Biografie Kuschels erklärt sich auch die Entstehung des Kommunalverlages: 2013 war er gegründet worden. Damals noch in der Annahme, dass Kuschel im darauffolgenden Jahr aus dem Landtag ausscheiden würde, was er dann aber nicht tat, weil die Linken nicht auf seine kommunalpolitische Expertise verzichten wollten. So oder so: Am Anfang standen für den Verlag deshalb vor allem Publikationen zur Kommunalpolitik. Eine davon beschäftigt sich zum Beispiel mit dem Informationsanspruch von Gemeinderäten in Thüringen. Eine andere mit der Thüringer Kommunalordnung, die bei Kuschel - so ist in Erfurt jahrelang gewitzelt worden - unter dem Kopfkissen liegt. Auch ein Buch zur Brandenburger Kommunalverfassung war bald nach der Verlagsgründung dort erschienen.

Trotzdem, erzählt Kuschel, sei seine Idee von Anfang an gewesen, die Veröffentlichungen zur Kommunalpolitik als eine Art Türöffner in die Welt der Bücher zu nutzen und sich dann im Laufe der Jahre breiter aufzustellen - aber trotzdem weiterhin in der Nische zu leben.

Denn das, sagt Kuschel ebenso wie Stefan Wogawa, sei der Ort, an dem Kleinstverlage leben und überleben können: in der Nische. Dort, wo die großen Verlagen sich nicht hineinbegeben. »Kommunale Literatur zum Beispiel lohnt sich für die einfach nicht«, so Kuschel. Wogawa sagt: »Nischen zu finden ist für kleine Verlage überlebenswichtig. Dort gelingt es dann aber auch, sich zu etablieren, das ist eine große Chance.«

Wogawa ist der zweite von insgesamt drei Gesellschaftern des Kommunalverlages und gleichzeitig der fleißigste Autor des Unternehmens, das seinen Sitz in Arnstadt - etwa fünfzehn Autominuten südlich von Erfurt gelegen - hat. Zwar hat auch er Bücher aus dem Orbit der Kommunalpolitik für den Verlag geschrieben oder daran mitgeschrieben. Eines trägt den Titel »Facebook, Twitter & Co. Soziale Netzwerke - eine Einführung (nicht nur) für Kommunalpolitiker«. Vor allem aber hat Wogawa Bücher zur Unterhaltungsindustrie der DDR verfasst. Etwa: »Die Söhne der großen Bärin und Co. Lexikon der DDR-Indianerfilme«. Oder: »Tecumseh. Das Leben des berühmten Häuptlings (1768-1813) und der gleichnamige DEFA-Film von 1972«.

Nischen auf dem Buchmarkt gibt es dabei aus Sicht von Kuschel und Wogawa ausreichend; auch wenn es selbstverständlich sehr viele Klein- und Kleinstverlage gibt. Wie viele Verlage das sind, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen, auch nicht beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, was auch damit zu tun hat, dass im digitalen Zeitalter praktisch jeder Autor sein eigener Verleger sein kann, indem er seine Schriften im Selbstverlag veröffentlicht. Kleinstverlage, die beim Börsenverein in die Kategorie »Unabhängige Verlage« fallen, sind da dann doch ein bisschen größer.

Etwa 10 000 Bücher hat der Kommunalverlag nach Angaben Kuschels seit seiner Gründung bis heute ausgeliefert. Die erfolgreichsten - darunter natürlich das Gysi-Ramelow-Wanderbuch - hatten eine Auflage von etwa 1200 Exemplaren. Viele andere sind über kleine dreistellige Auflagen nicht hinausgekommen; was, sagt Kuschel, man Autoren immer erst mal klar machen müsse, die häufig von Tausenden und Abertausenden verkauften Büchern träumten. »Ich weiß, was es heißt, 1000 Bücher zu verkaufen, das ist kein Selbstläufer.«

Dass niemand mit einem Kleinstverlag reich wird, das weiß deshalb nicht nur Kuschel, sondern auch Robert S. Plaul, der Mitglied im Sprecherkreis der Interessengruppe »Unabhängige Verlage« des Börsenvereins ist. »Da gehört immer viel Idealismus dazu«, sagt er. Neben überzogenen Erwartungen von Autoren an Gewinnmargen sei die Wahrnehmbarkeit von kleinen Verlagen und ihren Büchern deren größtes Problem. Allerdings, so Plaul, laufe inzwischen viel Marketing dieser Verlage über die sozialen Netzwerke, teilweise recht erfolgreich. Besonders im Bereich der Fantasy-Literatur klappe das bereits gut. Was wohl auch meint: Improvisieren und erfinderisch sein, ist für kleinste und kleine Verlage ebenso wichtig, wie die Auswahl der Nische.

Derart improvisationsfreudig übrigens hatte man sich im Oktober auch gezeigt, als die Vorstellung des Wanderbuchs des Kommunalverlages so gut besucht war. Während Gysi, Ramelow und Schütt das Buch drinnen im Saal vorstellten, las Scherzer für die Menschen vor der Tür aus dem Buch. Ende gut, alles gut.

Lesen: Landolf Scherzer; Hans-Dieter Schütt,
»Gysi & Ramelow: Diesen Weg auf den Höh’n ...«, Thüringer Kommunalverlag, 12,90 €

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