Freiwillige Corona-App

Die Bewegungsdaten von Infizierten sollten erfasst werden. Was nutzt das?

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Jens Spahn (CDU) scheiterte im März mit seinem ersten Gesetzentwurf in der Corona-Krise. Ein Passus, mit dem der Zugriff auf Daten aus der Handyortung möglich sein sollte, musste gestrichen werden. Der Gesundheitsminister wollte die Bewegungsdaten von Corona-Erkrankten nutzbar machen. Die Kritik aus Reihen der Datenschützer und Technikexperten hob darauf ab, dass Handyfunkmasten maximal auf 150 Meter genau funktionieren und Bewegungsdaten erfassen können.

Ob und wie lange sich Personen mit geringem Abstand und in Infektionsreichweite aufgehalten haben, ist daraus nicht ermittelbar. Auf dem Land sind die Funkzellen größer, so dass ein Mast oft mehrere Kilometer im Umkreis abdecken muss. Das Thema ist dennoch nicht vom Tisch. Die Bundesregierung kündigte eine überarbeitete Fassung des Gesetzes an und will den Entwurf bis Ostern vorlegen. »Daten sind das neue Öl«, lautet eines der Mantras, das Kritiker hinter den Ambitionen der Regierung vermuten. Denn der technische Nutzen anonymisierter Bewegungsdaten ist kaum zu belegen.

Technische Möglichkeiten

Smartphones erfassen in immer mehr ihrer Bauteile Bewegungsdaten. Während früher einzig die Verbindungen zu Funkmasten Rückschlüsse auf Bewegungen und Zusammenkünfte zuließen, kamen über die Jahre das globale Ortungssystem GPS, drahtlose Netzwerke wie WLAN und Bluetooth sowie neuerdings die Nahbereichskommunikation NFC dazu, die zum kontaktlosen Zahlungsverkehr genutzt werden kann. Je nach Technik ist es heute möglich, bis auf wenige Meter genau oder eben ungenau ein Bewegungsprofil zu erstellen. Tracking, also die Nachverfolgung der Bewegung, ist technisch heute leicht möglich.

Die eindeutigsten Tracking-Daten liefert dabei das GPS, das nach Angaben des Herstellers mittlerweile mit einer Genauigkeit von 7,8 Metern funktioniert. Der Schutzabstand, der im Alltag eine Ansteckung vermeiden soll, wird seit Ausbruch der Pandemie mit 1,5 bis zwei Metern angegeben. Ein weiterer Aspekt macht die GPS-Daten unpräzise. Geräte benötigen eine weitestgehend freie Sicht auf den GPS-Satelliten. Dies gelingt mit älteren Smartphones oftmals schon nicht in Wäldern, auch in dicht besiedelten Stadtgebieten steigt die Fehlerquote.

WLAN und Bluetooth sind ebenso fehleranfällig. Sie funktionieren oft durch Wände hindurch und über Stockwerke hinweg. So ist der Aufenthalt im selben Sendebereich dieser Technik auch kein Indiz dafür, ob es einen ansteckungsrelevanten Kontakt von Menschen gegeben hat.

Bluetooth als vermeintliche Lösung

Befürworter des Trackings plädieren nun für Bluetooth. Doch auch diese Technik produziert trügerische Daten und ist besonders für Menschen in systemrelevanten Arbeitsbereichen nicht benutzbar. Verwenden Polizei, Supermarktangestellte oder Lieferdienstangestellte die App, wird durch deren immer noch hohe Kontaktanzahl mit potenziell Infizierten die Nutzung der App ad absurdum geführt.
Angestellte im Kassenbereich des Supermarktes sind zwar mittlerweile durch besondere Schutzmaßnahmen von möglichen Überträgern getrennt, für einen Bluetooth-Sensor jedoch genau so gefährdet wie jemand, der im Nahbereich einer infizierten Person schläft.

»Wir wollen Gesundheit UND Datenschutz«, sagt Rena Tangens vom Datenschutzverein Digitalcourage und weist im Gespräch mit dem »nd« darauf hin, dass Bluetooth-Daten nur dann aussagekräftig sein können, wenn erfasst ist, wie lange der Kontakt bestanden hat und wie nah sich die Geräte gewesen sind. Dies ist über den ebenfalls in Smartphones enthaltenen Bewegungssensor möglich.

Eine Lösung, die auch die Abgeordnete Anke Domscheit-Berg, die für die Linke im Bundestag netzpolitische Themen behandelt, mittragen würde: »Für die Einschätzung potenzieller Infektionsrisiken werden nur Informationen zu räumlicher Nähe (unter zwei Meter) und Dauer der Nähe (über 15 Minuten) benötigt, keineswegs Informationen dazu, an welchem Ort eine Begegnung stattgefunden hat.« Wie Tangens plädiert auch Domscheit Berg für eine datenschutzkonforme Lösung und will eine Löschung der Daten nach spätestens 21 Tagen festschreiben.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber pocht bei Handy-Tracking als Schutzmaßnahme in der Coronakrise auf den Grundsatz der Freiwilligkeit. Politiker suchen jetzt nach neuen Rechtfertigungen, denn die Ungenauigkeit der Bewegungsdaten lässt sich nicht von der Hand weisen.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf hob auch positive Erfahrungen aus Südkorea hervor. Dort wurden die Ortungsdaten allerdings teilweise mit Kreditkartendaten und Bilddaten aus Videoüberwachungsanlagen verknüpft.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur stimme derzeit die Hälfte der Bevölkerung für solche Überlegungen. 50 Prozent hielten die Ortung von Kontaktpersonen von Infizierten für sinnvoll. 38 Prozent fänden das unangemessen. Zwölf Prozent machten keine Angaben.

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