Asse: Alles muss raus

Betreiber des maroden Atommülllagers legt Konzept für Bergung der Abfälle vor

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte das Atommülllager Asse »einen der größten Problemfälle, die wir in Europa haben«. Es sei skandalös, dass die Atomindustrie ein Bergwerk »löcherig wie ein Käse« für eine »Billigentsorgung« genutzt habe. Rund 126 000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Müll sowie chemischen Abfällen wurden zwischen 1967 und 1978 im früheren Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel versenkt.

Die Abfälle, darunter rund 100 Tonnen radioaktives Uran, 87 Tonnen strahlendes Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und 500 Kilogramm extrem giftiges Arsen, lagern in 13 unterirdischen Kammern. Teilweise kippten Gabelstapler die Fässer einfach über Abhänge oder quetschen sie in bereits volle Hohlräume. Bis heute halten sich Gerüchte, dass dort auch Kadaver von Affen und anderen Säugetieren vermodern, mit denen in der Vergangenheit radioaktive Versuche gemacht wurden. Unklar ist auch, ob entgegen offiziellen Beteuerungen nicht auch hochradioaktiver Müll verklappt wurde.

Spätestens seit 1988 läuft Wasser in das Bergwerk, täglich rund 12 000 Liter. Die Kammern mit dem Atommüll sind instabil, sagen Experten. Sie befürchten auch unkontrollierte Grundwassereinbrüche. Deshalb sollen die radioaktiven Abfälle nach Möglichkeit an die Oberfläche geholt werden. Jetzt hat der Betreiber, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), erstmals so etwas wie ein Konzept für die Rückholung vorgelegt. Auf knapp 150 Seiten werden als Eckpunkte des weltweit einmaligen Vorhabens der Bau eines weiteren Schachtes, die Strategie zur Behandlung der zu bergenden Abfälle und ein Standortvorschlag für ein Zwischenlager beschrieben.

Bislang führen nur der Schacht II und ein kleiner Notschacht, der Schacht IV, nach unten. Um die teils wohl geborstenen und verrosteten Fässer nach oben zu schaffen, soll ein neuer Schacht - der Schacht V - ins Gestein getrieben und unter der Erde mit dem bestehenden Bergwerk verbunden werden. Der Bau soll im Jahr 2023 beginnen. »Mit dem geplanten Bau des Schachts V wird die Rückholung auch über Tage sichtbar, nachdem wir in den vergangenen Jahren unter anderem mit der Stabilisierung des Bergwerks und den Erkundungen die Voraussetzungen für die Rückholung geschaffen haben«, sagt der technische Geschäftsführer der BGE, Thomas Lautsch.

Die eigentliche Rückholung des Atom- und Chemiemülls aus den Einlagerungskammern soll größtenteils mit ferngesteuerten Maschinen erfolgen und 2033 beginnen, schreibt die BGE. Auf dem neuen oberirdischen Teil des Betriebsgeländes will sie eine sogenannte Abfallbehandlungsanlage bauen, wo die Abfälle sortiert für eine spätere Einlagerung umverpackt werden sollen. Ein Zwischenlager soll ebenfalls auf dem Areal entstehen.

Die Bürgerinitiativen des Asse-II-Koordinationskreises bemängeln, dass die möglichen Zwischenlagerstandorte ohne einen fairen Vergleich mit Alternativen öffentlich gemacht wurden. Auch Asse-ferne Standorte mit ausreichendem Abstand zur Wohnbebauung müssten geprüft werden, sagt Andreas Riekeberg, einer der Sprecher des Kreises. Die Gefahr durch Störfälle sei ebenfalls zu berücksichtigen. Eine Studie habe gezeigt, dass im Fall eines Brandes mit Radioaktivitätsfreisetzung eine wesentliche Abnahme der Strahlenbelastung erst bei einem Abstand von mehr als vier Kilometern von der Anlage zu erwarten sei.

Völlig in den Sternen steht, was langfristig mit dem Asse-Müll passieren soll. Das im Bau befindliche Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle Schacht Konrad ist viel zu klein konzipiert, um die geschätzten 100 000 Kubikmeter aus der Asse aufzunehmen.

Immerhin hat die BGE schon mal die Kosten für die Rückholung abgeschätzt: Sie sollen sich, bei einer Fehlermarge von 30 Prozent, auf 3,35 Milliarden Euro belaufen. Ob die Räumung der Asse angepackt wird, ist keineswegs sicher. Umweltschützer vermuten, dass manche Politiker keine Bilder von zerfressenen Fässern und einem strahlenden Brei aus Salzlauge, Rost und Atommüll wollen.

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