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Kein Geld für Hamsterkäufe

In der Demokratischen Republik Kongo fürchtet man sich in der Coronakrise nicht vor dem Virus, sondern vor Hunger

  • Judith Raupp, Goma
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Demokratische Republik Kongo ist eines der ärmsten Länder der Welt. Hier wurde die Corona-Pandemie zunächst nicht wahrgenommen, obwohl Afrika wirtschaftlich eng mit China verflochten ist. Seit die Seuche in Europa angekommen ist, horcht man aber auch hier auf. Dass eine Krankheit das Leben in der westlichen Welt lahmlegt, findet Gisèle Bagheni »unglaublich«. Die junge Kongolesin, die für eine Hilfsorganisation in der Millionenstadt Goma im Osten des Landes über Hygiene aufklärt, schüttelt unentwegt den Kopf. Wie viele Afrikaner ging sie bisher davon aus, dass Reichtum unverletzlich macht.

Ihr Land hätte viel früher internationale Flüge verbieten sollen, findet Bagheni. Tatsächlich haben Passagiere, vor allem Politiker und Geschäftsleute, die sich solche Reisen leisten können, das Virus nach Zentralafrika gebracht. Gerade einmal 98 Covid-19-Fälle wurden in dem riesigen Land, das etwa siebenmal so groß wie Deutschland ist, bisher registriert. Dennoch: Vor wenigen Tagen hat die Regierung Grenzen, Schulen, Universitäten, Kirchen, Bars und Restaurants geschlossen, Versammlungen verboten, den Flugverkehr eingestellt und den Notstand ausgerufen.

Das klingt nach einem Kampf, ähnlich wie ihn Europa derzeit gegen Corona führt. Doch das täuscht. Im Kongo geht es nämlich um eine andere Gefahr: Gewöhnlich drängeln sich Tagelöhner vor den Toren von Firmen und den Häusern reicher Leute, um einen Job zu ergattern. Sie müssen ja abends irgendwie die Familie satt bekommen. Das wird jetzt erschwert. Die Bevölkerung in Goma hat daher jetzt weniger Angst vor dem Virus als vor dem Verhungern, zumal die Marktfrauen aus dem Nachbarland Ruanda wegen der Grenzschließung ihre günstigen Waren nicht mehr anbieten können.

»Mehl, Reis, Öl, alles kostet jetzt um die Hälfte mehr. Manchmal verlangen sie sogar das Doppelte«, schimpft Anastase Mushamuka. Der Gärtner weiß nicht mehr, wie er seine Familie durchbringen soll. Die Hygieneregeln, um sich vor Corona zu schützen, kennt er zwar. »Aber mit welchem Wasser soll ich mir ständig die Hände waschen?«, fragt er. Seine Tochter muss jeden Liter auf dem Rücken vom See nach Hause schleppen. Außerdem sei man an Krankheiten und Tod gewöhnt. »Es hilft nur beten«, meint er und ärgert sich, dass ausgerechnet die Gottesdienste verboten wurden.

Blickt man auf die Statistiken etwa der Weltgesundheitsorganisation (WHO), so verwundert diese Haltung nicht. Allein an der Cholera sterben jedes Jahr Zehntausende Patienten vorwiegend in armen Ländern. Malaria kostete 2018 mehr als 400 000 Menschen das Leben; die meisten waren afrikanische Kinder jünger als fünf Jahre. Masern töteten im selben Jahr 140 000 Erkrankte, ebenfalls mehrheitlich Kinder. Und in der DR Kongo geht gerade die zehnte Ebola-Epidemie zu Ende, bei der 3453 Patienten ihr Leben verloren.

Als die tödliche Infektionskrankheit 2018 im Osten des Landes ausbrach, strömten Hilfsorganisationen ins Land, brachten Schutzanzüge und Desinfektionsmittel mit, schulten Gesundheitspersonal, klärten die Bevölkerung auf. Die Staatengemeinschaft wollte unter allen Umständen verhindern, dass Ebola auf weitere Länder übergreift. Immerhin tummeln sich im von Gewalt geplagten Ostkongo Tausende Entwicklungshelfer und Angehörige der weltgrößten Friedensmission der Vereinten Nationen. Die Furcht, eine Pandemie könnte den Wohlstand auch in reichen Ländern bedrohen, gebot schon aus purem Eigeninteresse, hier einzugreifen.

Ebola konnte dank Impfung eingedämmt und ist dank eines neuen Medikaments inzwischen teilweise heilbar, was bei dem neuartigen Coronavirus noch nicht der Fall ist. Jetzt, da die reichen Länder mit sich selbst beschäftigt sind, werden die schwachen Staaten auf wenig Hilfe hoffen können. Der Mikrobiologe Jean-Jacques Muyembe, Leiter des nationalen Medizinforschungsinstitutes INRB, warnt bereits, dass die Krankenhäuser für Corona nicht gerüstet seien.

Es bleibt den Menschen nur, sich einigermaßen zu schützen. Doch das ist schwierig. Vorräte anlegen, um sich nicht beim Einkaufen ständig unter die Leute mischen zu müssen, ist utopisch. »Das Geld reicht den meisten nicht einmal für eine Tagesration«, sagt Aktivistin Bagheni. Sie hat Glück, kann zumindest stundenweise zu Hause arbeiten. Ihr Arbeitgeber bezahlt ein paar Telefoneinheiten für mobiles Internet. Andere können vom Homeoffice nur träumen, da sie in ihrer Wohnung weder Strom noch Internet haben. Auf Kurzarbeitergeld oder sonstige staatliche Hilfe können sie ebenfalls nicht zählen.

Die Menschen müssen also weiterhin zur Arbeit, zu Wasserstellen und auf den Markt. In Goma fahren sie in überfüllten Minibussen oder mit Motorradtaxen, auf denen ein bis drei Passagiere dicht gedrängt nur wenige Zentimeter hinter dem Fahrer sitzen. Sich mit dem Virus anzustecken, ist für die meisten dabei nicht die eigentliche Gefahr. In Goma und Umgebung vergeht kaum ein Tag ohne tödliche Unfälle. Schlaglöcher, eingebrochene Brücken, rutschige Lehmpisten, überladene Lastwagen und defekte Bremsen fordern ihren Tribut. Für die Wartung fehlt das Geld. Technische Kontrollen schafft man mit Bestechung aus der Welt. Verkehrsunfälle sind in armen Ländern seit Jahren die Todesursache Nummer eins für Kinder, noch vor Krankheit und Krieg. Auch diese Gefahr wird nach Corona bleiben.

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