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Spuren im Sand

Bitte nicht verzweifeln: Das Antifa-Computerspiel »Through the Darkest of Times«

  • Jörg Reisig
  • Lesedauer: 7 Min.

Viele Leute können sich zunächst nichts unter einem »ernsthaften historischen« Computerspiel vorstellen. Wie würden Sie »Through the Darkest of Times« beschreiben für Menschen, die nicht viel mit Games zu tun haben?

Es ist ein Spiel, das versucht, einen in die Rolle von jemandem zu versetzen, der oder die in der Zeit des Nationalsozialismus lebt, ein relativ gewöhnlicher Mensch ist, ohne besonderen Einfluss oder besondere Fähigkeiten, und in Opposition zum Regime steht. Und der dann beschließt, etwas dagegen zu tun, und somit riskiert, verhaftet zu werden.

Die erzählerischen Mittel, die wir dafür verwenden, kann man sich vorstellen wie bei einem Comic. Es gibt also illustrierte Texte, wo die spielende Person aber immer wieder Entscheidungen treffen kann. Dann gibt es noch einen strategischen Teil, der ist ein bisschen wie ein Brettspiel. Da versuche ich, meine Gruppe zu organisieren, und muss mir ganz rational überlegen: Was mache ich denn als Nächstes? Habe ich genug Geld? Wie organisiere ich mir dieses Geld?

In dem Spiel geht es also um das Management einer fiktiven Widerstandsgruppe gegen das »Dritte Reich«. Sie leben schon seit vielen Jahren in Berlin. Wie hat Sie die Geschichte der Stadt beeinflusst?

Die Geschichte Berlins hat das Spiel stark beeinflusst. Wir haben viele tatsächliche historische Begebenheiten verarbeitet, die hier stattgefunden haben. Das sind zum Teil große Sachen, die fast jede*r kennt, wie der Reichstagsbrand oder die Bücherverbrennung. Aber auch Ereignisse, die nicht so bekannt sind, wie die Köpenicker Blutwoche, eine der ersten politischen Säuberungen der Nazis.

Wir haben lokale Recherche betrieben, sind an diese Orte gefahren oder in die Gedenkstätten gegangen. Zum Beispiel gibt es eine Szene in unserem Spiel, die am Berliner U-Bahnhof Bayerischer Platz spielt, der damals bombardiert wurde. Vor Ort habe ich eine Buchhandlung gefunden, die es damals schon gab. Die Buchhändlerin hat mir erzählt, dass der Laden ein Treffpunkt von Oppositionellen war, hauptsächlich von jüdischen und linken Akademiker*innen - unter anderem war Albert Einstein in den 20er Jahren da -, und wie das Geschäft dann arisiert wurde. Jetzt sehe ich die Stadt mit anderen Augen.

An welchen historischen Gruppen haben Sie sich orientiert?

Die größte Inspiration war die sogenannte Rote Kapelle, die für uns aus mehrerlei Hinsicht interessant war. Erstens war die Gruppe relativ groß - sie hatte auf ihrem Höhepunkt fast 100 Mitglieder in Berlin - und zweitens war sie sehr divers. Fast die Hälfte waren Frauen, und was das Alter betrifft, war die Zusammensetzung vielfältig: Das jüngste Mitglied war 18 und das älteste über 70 Jahre alt. Zweitens war sie politisch sehr heterogen: In der Gruppe waren Kommunisten organisiert, aber auch Liberale oder Katholisch-Konservative bis hin sogar zu Nationalkonservativen, die aber eben mit Hitler nichts anfangen konnten.

Ein sehr brauchbares Detail für unser Spiel, das ja die gesamte NS-Zeit abbilden soll, war auch, dass diese Gruppe rund um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack sich sehr früh gegründet hat. Sie haben von Anfang an gesagt: »Okay, das wird jetzt richtig schlimm, wir müssen uns vorbereiten. Wir müssen ein Netzwerk aufbauen. Wir müssen gucken, dass wir das irgendwie stoppen können!«

Eine andere Gruppe, die uns inspiriert hat, war die Herbert-Baum-Gruppe, eine jüdische Widerstandsgruppe aus der Gegend um die Rummelsburger Bucht. Die Mitglieder waren relativ jung, Student*innen und Schüler*innen, und haben, wie man heute sagen würde, »Antifa-Bildungskreise« veranstaltet: Sie haben sich hauptsächlich fortgebildet, verbotene Schriftsteller gelesen, viel linke und kommunistische Literatur. Und vereinzelt haben sie Flugblattaktionen gemacht. All diese Leute wurden zum größten Teil verhaftet und umgebracht.

In »Through the Darkest of Times« geht es nicht um große Allmachtsfantasien: Es ist nicht möglich, die Nazis allein als kleine Fünf-Personen-Truppe aufzuhalten. Es geht mehr darum, die Naziherrschaft zu überleben und kleinere Akte des Widerstands zu begehen. Das kann sehr frustrierend sein. Wie zeigen Sie, dass es sich dennoch lohnt, gegen den Faschismus anzukämpfen?

Die unterliegende Botschaft ist immer: Jeder Mensch, den ich rette - das ist das Wichtige. Dass das, was man während des Spiels versucht , am Ende richtig ist, selbst wenn es keinen großen, messbaren, sichtbaren Effekt hat. Sebastian Schulz und ich, wir sehen uns als Humanisten und Materialisten, und wir glauben, dass du immer etwas änderst, wenn du etwas tust. Deswegen gibt es kein klassisches »Game over«, wo das Game sagt: »Das hast du jetzt falsch gemacht. Du musst jetzt neu anfangen und versuchen, es besser zu machen.« Wenn das Spiel endet, selbst wenn man nicht bis zum Jahr 1945 durchgekommen ist mit seiner Gruppe, bekommt man immer einen Epilog, in dem erzählt wird, wer die Gruppe war und was mit den Leuten weiter passiert ist. Damit man als Spieler das Gefühl hat: Ich habe etwas hinterlassen, zumindest eine Spur im Sand. Und vielleicht habe ich dabei auch jemanden gerettet.

Euer Studio »Paintbucket Games« wurde gerade für den Deutschen Computerspielpreis als bestes deutsches Spiel nominiert. Wie wird das Thema innerdeutscher Widerstand international angenommen? Können Computerspieler*innen, die nicht mit dem Thema aufgewachsen sind, damit etwas anfangen?

Es ist total spannend, wie das Spiel ankommt. Je nach Geschichte ziehen die Leute etwas anderes daraus. Zum Beispiel haben wir aus Polen relativ viel Feedback bekommen. Der Widerstand dort war etwas ganz anderes als der in Deutschland: Dort waren die Deutschen ja eine Besatzungsmacht, gegen die man zum Teil bewaffnet gekämpft hat. Das Interessante ist, dass das Spiel dort deswegen gar nicht so sehr mit der NS-Zeit verglichen wird, sondern eher mit der Zeit hinter dem Eisernen Vorhang. Ohne das jetzt gleichzusetzen! Es geht eher um dieses Gefühl des allmächtigen Staates, dem man nicht trauen kann. Und darum, dass es nur wenige Leute gibt, denen man vertrauen kann. In anderen Ländern, die ihren eigenen Faschismus hatten, Italien und Spanien zum Beispiel, sehen die Leute die Parallelen von damals zu heute. Und in Ländern, die keines von beidem hatten, vor allem in den USA - für unser Spiel interessanterweise der zweiterfolgreichste Markt nach Deutschland -, wird auch oft die Parallele zu heute hergestellt. Was sich überall zeigt, ist die Sorge, dass dies jetzt passieren könnte. Wie in Brasilien, wo sich Spieler*innen melden und sagen: »Boah, das hat einen Bezug zu uns, könntet ihr das Spiel bitte auch ins Portugiesische übersetzen?«

Rechtsradikalismus und Rassismus ziehen sich durch die ganze Gesellschaft. Auch unter Computerspieler*innen gibt es organisierte Nazis. Bekommen Sie Anfeindungen aus der Szene? Und wie gehen Sie damit um?

Ja, die gibt es, am heftigsten von User*innen auf dezidierten Gaming-Netzwerken, wie etwa der Download-Plattform Steam. Diese Sorte von Faschos, etwa 4Chan-Gruppen, verstehen ziemlich gut, wie das Internet funktioniert, und sind gut darin, einen mit relativ wenig Aufwand zu trollen. Zum Beispiel werden unsere Videos oder unsere Facebook-Posts immer wieder massenhaft als »inappropriate« geflaggt - dann verschwinden sie und keiner sieht sie mehr. Das kriegen wir oft gar nicht mit, weil es nicht als verbotener Content gemeldet wird, sondern eben nur als »unangemessen«. Auch auf Steam kommen negative Reviews zu unserem Spiel rein oder Kommentare wie: »Hitler war doch eigentlich links.« Das Forum auf Steam ist auch ganz fürchterlich. Aber unser Publisher HandyGames fängt das für uns zum allergrößten Teil auf und kümmert sich um das Flagging. Da sind wir echt glücklich. Ich glaube, wir wären ganz schön untergegangen, wenn wir alleine gewesen wären.

Antifaschistische Arbeit hat sich sehr verändert. Wenn Sie ein Widerstandsspiel entwickeln würden, das in den 2020er Jahren spielt, was würden Sie Ihren Protagonist*innen an Handlungsmöglichkeiten geben?

Ich glaube, viele Sachen sind immer noch aktuell. Die Grundspannung einer Widerstandsgruppe in unserem Spiel ist ja: genug Mittel zu haben und genug Leute zu kennen, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Und der Zusammenhalt der Gruppe - also nicht zu verzweifeln und sich nicht zu verzanken. Ich glaube, dass das heute noch genauso gilt.

»Through the Darkest of Times« (Paintbucket Games), www.paintbucket.de.

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