nd-aktuell.de / 03.04.2020 / Kultur / Seite 14

Der Mann aus der Mittelschicht

Im Heimkino: Das Filmdrama »Kopfplatzen« erzählt von einem Pädophilen, der gegen seine sexuellen Neigungen kämpft

Nicolai Hagedorn

Vorerst wurden so gut wie alle Kinostarts gecancelt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Filmverleih Edition Salzgeber bringt nun einen seiner geplanten Filme trotz Virus ins Kino, wenn auch nur ins sogenannte Heimkino. Kurzerhand hat man auf der eigenen Homepage den »Salzgeber-Club« gestartet, wo nun mit »Kopfplatzen« der erste Film erscheint, und zwar zum geplanten Kinostarttermin.

Der Filmtitel beschreibt treffend das latente Gefühl des Protagonisten Markus (Max Riemelt), der gegen seine pädosexuellen Neigungen kämpft: Er steht auf präpubertäre Jungs.

Spätestens als die den achtjährigen Arthur allein erziehende Nachbarin Jessica ihn nicht nur zum Babysitter, sondern kurz drauf auch zu ihrem Liebhaber macht, wird die Sache brenzlig, denn Arthur sucht in Markus einen Ersatzvater - mit aller Körperlichkeit, die Letzteren mehr und mehr in die Bredouille bringt.

Regisseur und Drehbuchautor Savaş Ceviz zwingt den Zuschauer, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und das »Kopfplatzen« seines Protagonisten nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch zu reflektieren, was es bedeutet, von der eigenen sexuellen Neigung in die soziale Isolation getrieben zu werden. Nichts soll in seinem Film vom Thema ablenken, alles wird minimalisiert, auf das Nötigste heruntergedimmt, bis zur Farbgebung.

Markus ist einer aus dem Millionenheer hemdsärmeliger Bürotypen, die in irgendwelchen hippen Klitschen ihren Jobs nachgehen: In diesem Fall ist es ein Architekturbüro, womit Ceviz das Problem aus der Schmuddelecke in die Großstadt-Mittelschicht holt. Und wo die Außenwelt schon trostlos genug ist, gibt es für Markus auch kein rettendes Innen, keine Peergroup, keine Kleinfamilie. Der Schauspieler Max Riemelt erklärt, er habe »den Zuschauern durch ein eher zurückgenommenes Spiel Raum für eigene Fragen und Gedanken lassen« wollen.

Das größte Verdienst des Films indes ist es, den pädophilen Protagonisten nicht als brutalen Ausbeuter erscheinen zu lassen, sondern das eigentliche Problem herauszuarbeiten: Markus ist keineswegs darauf aus, dem Achtjährigen zu schaden oder ihn zu verletzen. Der Pädophile hier liebt das Kind, allerdings auf eine Weise, die romantische und sexuelle Wünsche einbezieht, die ohne Gewaltanwendung nicht zu realisieren sind. Der Kampf gegen die eigene Neigung, die ihn buchstäblich um den Verstand bringt, wird zum Mittelpunkt allen Denkens und Fühlens, während selbst Markus’ nahes Umfeld sich von ihm abwendet, und zwar aus - daran lässt der Film keinen Zweifel - vollkommen verständlichen Gründen. Dass Markus am Ende nur der kleine Arthur gewogen bleibt, ist eine bestürzende Pointe in einem für deutsche Verhältnisse selten klugen Film.

»Kopfplatzen«, Deutschland 2019. Regie: Savaş Ceviz. 99 Min. www.salzgeber.de/kopfplatzen[1]

Links:

  1. http://www.salzgeber.de/kopfplatzen