nd-aktuell.de / 04.04.2020 / Politik / Seite 19

Solidarisch gärtnern

Berliner Kleingartenanlagen bereiten sich auf Versorgungsengpässe vor.

Andreas Fritsche

Die Vögel zwitschern, die ersten Obstbäume blühen, die Sonne bricht durch die Wolken. In frisch umgegrabenen Beeten picken Amseln nach Regenwürmern. In der Kleingartenanlage Bornholm II in Berlin-Prenzlauer Berg sieht es auf den ersten Blick aus wie immer in dieser Jahreszeit. Doch die Coronakrise ist auch hier angekommen. Die anstehende Mitgliederversammlung wurde vom Vereinsvorstand abgesagt, noch bevor der Berliner Senat Zusammenkünfte in dieser Größenordnung verboten hatte. Der Vorstand ermahnte in einer E-Mail die Gartenfreunde, untereinander Abstand zu halten und keine Grillpartys zu feiern, wenn es wärmer wird. Weiterhin bat der Vorstand, »in diesem Jahr besonders großen Wert auf den Anbau von Obst und Gemüse zu legen«, um die eigene Versorgung zu sichern, aber auch, um im Notfall die Nachbarschaft mit Lebensmitteln unterstützen zu können. »Bitte baut Pflanzen an, die nach euren Erfahrungen gut gedeihen und reiche Erträge bringen: Kartoffeln, Kürbis, Bohnen, Rote Bete, Mangold, Grünkohl, Gurken, Zucchini, Tomaten, Kohlrabi, Radieschen, Feldsalat, Erdbeeren ...«

Regisseur Torsten Löhn, der seit einigen Jahren eine der Parzellen bewirtschaftet und sich mittlerweile im Gartenvorstand engagiert, sieht erfreut, dass nun allerorten bisherige Rasenflächen in kleine Kartoffelacker verwandelt werden. Er registriert den Wunsch der Kleingärtner, Solidarität zu üben, falls es zu Versorgungsengpässen kommen sollte. Vorstellbar wären solche Engpässe, wenn etwa die in der Landwirtschaft benötigten Erntehelfer aus Polen und Rumänien wegen der Coronakrise ausbleiben.

»Ich hoffe natürlich, dass es nicht so weit kommt«, sagt der 55-Jährige. Doch das Obst und Gemüse aus den Kleingärten könnte im Fall der Fälle eine Hilfe sein. Besonders Äpfel haben Kleingärtner in der Regel viel mehr, als sie selbst essen können. Viele stellen dann sowieso schon Schüsseln mit den gepflückten Äpfeln an ihren Zaun, aus denen sich Passanten bedienen können. Für Löhn wäre es denkbar, das nun organisiert zu tun. Früher ging es ja auch. Er erinnert sich, dass Kleingärtner zu DDR-Zeiten einen Teil ihrer Erträge an Läden verkauft haben, die so ihr Angebot bereicherten. Der Regisseur kennt aber auch ein aktuelleres Beispiel: Vor ein paar Jahren belieferten seine Gartenfreunde zwei Asylunterkünfte mit Obst, um etwas für die dort lebenden Flüchtlinge zu tun. »Das war ein schöner Moment der Gemeinsamkeit.«

Der Gedanke der regionalen Versorgung durch Kleingärten könne durch die Coronakrise wieder interessant werden, ist Löhn überzeugt. Mit Blick auf künftige Krisen dieser Art müsste seiner Ansicht nach ernsthaft darüber nachgedacht werden, die Kleingartenanlagen Bornholm I und Bornholm II doch nicht für den Wohnungsbau zu opfern. Gegenwärtig wird erwogen, diese beiden Anlagen zu räumen, wenn die Pachtverträge im Jahr 2030 ablaufen. Auch vielen anderen Kleingartenanlagen in Berlin droht das Aus.

Im Moment ist es erlaubt, die Parzellen aufzusuchen und sich um die Aussaat zu kümmern. Sollte eine Ausgangssperre verhängt werden, könnte das zum Problem werden. Torsten Löhn appelliert daher an den Berliner Senat, dass dann Passierscheine ausgestellt werden.

Darüber muss sich im Moment jedoch niemand Gedanken machen. »Eine weitergehende, strikte Ausgangssperre ist derzeit nicht vorgesehen«, erklärt ein Sprecher der Senatsinnenverwaltung auf nd-Anfrage. Noch erlaubt die derzeit geltende, am 22. März erlassene Berliner Verordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie das Verlassen der Wohnung zur Bewirtschaftung von gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Flächen. »Deshalb können die Parzellen für die kleingärtnerische Nutzung aufgesucht werden«, erklärt Michael Matthei, Präsident des Landesverbandes der Gartenfreunde. Er sieht es ähnlich wie Torsten Löhn und sagt: »Die Berliner Kleingärtner waren in der Vergangenheit immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Bleiben wir dieser Tradition bitte treu.«

In vergangenen Krisenzeiten war die Versorgung der Stadtbewohner durch Kleingärten bereits mehrmals ein wichtiger strategischer Aspekt, so Löhn. Während der Weltwirtschaftskrise und nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise habe so der Hunger gemildert werden können. Es gibt Modellrechnungen, dass rund 300 Quadratmeter klug bepflanzter Beete und Obstwiesen zur Selbstversorgung einer kleinen Familie ausreichen können - allerdings nur, wenn diese noch Kartoffeln dazukauft.

In der Brandenburger Corona-Verordnung findet sich unter den Ausnahmen, die ein Verlassen der Wohnung erlauben, keine Formulierung, die Kleingärten ausdrücklich erwähnt. Aber von Bewegung an der frischen Luft ist die Rede. Wäre dafür nicht der Kleingarten ein guter Ort?

Susann Fischer vom Koordinierungszentrum Krisenmanagement der Potsdamer Staatskanzlei erklärt auf nd-Nachfrage, dass die Schrebergärten in Brandenburg nur dann aufgesucht werden dürfen, wenn es sich um das eigene Objekt handelt und wenn die Liegenschaft »unter Einhaltung der vorgegebenen Kontaktverbots- und Mindestabstandsregeln erreich- und nutzbar ist«. Nicht zulässig wäre es aber, einen Schrebergarten anzumieten, um dort auszuspannen. Und selbstverständlich müsse jetzt auf Gartenfeste und Grillabende verzichtet werden, stellt Fischer klar. Der Besitzer dürfe sich »nur alleine und mit maximal einer weiteren Person oder nur mit Personen aus dem eigenen Hausstand« in seinem Schrebergarten aufhalten.

Torsten Löhn hält sich in der Berliner Anlage Bornholm II peinlich genau an solche Vorsichtsmaßregeln. Beim Gespräch mit dem »nd« sitzen nur er und der Journalist auf der Terrasse - gut fünf Meter voneinander entfernt.