Milchbauer sucht Molkerei

Auch in Zeiten einer Pandemie lassen sich Kühe nicht einfach auf Stand-by stellen

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 4 Min.

»Im Moment nimmt die Käserei in Oberfranken unsere Milch noch ab«, erzählt Alf Jungermann, der für 160 Milchkühe Verantwortung trägt. Seit drei Jahren hat er auf gentechnikfreie Futtermittel umgestellt. Als proteinreiches Kraftfutter gibt er seinen Tieren Rapsschrot und Luzerne. Weil für den Anbau von Sojabohnen in Lateinamerika wertvoller Regenwald abgeholzt wird, greifen hierzulande immer mehr Landwirte auf einheimisches Futter wie Raps, Luzerne und Lupine zurück. Die energiereiche Gerste, die Jungermanns Kühe außerdem erhalten, baut er selbst an. Gras und Mais für die Silage, die jede Kuh darüber hinaus erhält, können von dem Nordthüringer ebenfalls selbst gesät und geerntet werden.

Die Wege seiner Kuhmilch, die bisher von der Käserei in Oberfranken verarbeitet wurden, führten bis vor kurzem zu Vertragspartnern nach Italien und in die USA. Dorthin lieferten die Oberfranken vor allem Milchprodukte wie Weichkäse mit Edelschimmel, aber auch Mozzarella und Hartkäse wie Parmesan zum Reiben. Das war für den Milchbauern aus Thüringen bislang günstiger und besser bezahlt als von Molkereien in der Nähe, die vorwiegend Joghurt herstellen.

Die Milch eines benachbarten Landwirts wurde zu einem beträchtlichen Anteil an die Lufthansa geliefert. Auch dieser Vertriebsweg ist nun weggebrochen. Auch der Milchbauernverband sieht aktuell Absatzrückgänge im Hotel- und Gaststättenbereich sowie im Export. Zugleich hätten in der letzten Woche die aktuellen Kontrakte zu Butter und Schnittkäse zwischen Molkereien und Lebensmittelhändlern mit einem Plus abgeschlossen werden können.

Die meisten Landwirte in Thüringen können momentan noch etwa 80 Prozent ihrer Milch verkaufen. Für die Betriebsgröße von Jungermann bedeutet das, täglich 800 Liter Milch selbst vermarkten zu müssen.

»Freilich kann man die Milchbildung der Kühe über die Futtermenge ein wenig absenken. Jedoch mit großem Risiko in Bezug auf Wohlbefinden und Fruchtbarkeit. Die Kuh ist ein biologischer Organismus«, betont der Landwirt, »sie ist eben ein Gewohnheitstier mit regelmäßigen Zeiten für das Fressen, Schlafen und Melken. Wenn am Futter etwas geändert wird, ändert sich auch dieser Rhythmus.«

Langfristig resultieren daraus dann weniger Einnahmen, und es fehlt das Geld, um die laufenden Betriebskosten zu decken. Eine Kuh lässt sich nicht nach Belieben für zwei Monate auf »Standby« stellen und dann plötzlich wieder auf volle Leistung hochfahren wie eine Maschine.

Nun versuchen die Landwirte des Kreises Nordhausen, regionale Direktvermarktungswege ins Leben zu rufen. Für Kartoffeln, Spargel und Getreide gibt es dabei kaum Probleme. Für frische Kuhmilch hingegen müssen besondere Bestimmungen bei der Hygiene eingehalten werden. Daher suchen mehrere Betriebe gemeinsam nach einer Molkerei, die das gewährleisten kann.

In diesem Frühjahr wurden bereits Krankenhäuser, Industrieküchen und Gewerbetreibende als regionale Großabnehmer gewonnen. Derzeit arbeitet in Nordthüringen eine Bio-Molkerei, die eine fettarme und eine Vollmilchvariante verarbeitet und abfüllt. Das Risiko einer eigenen Bio-Käse-Strecke ist man hier noch nicht eingegangen. »Wirklich erfolgversprechend ist die ökologische Ausrichtung nur, wenn sie mit handwerklichen Herstellungsmethoden einhergeht« erklärt Käsemeister Siegfried Neuner vom Ökozentrum Werratal in Südthüringen.

Leider kann Jungermann nicht ohne Weiteres auf ökologische Weidehaltung umstellen, dazu fehlen ihm die Grünflächen und Ackerland, um 95 Prozent des benötigten Futters selbst anbauen zu können, wie es von der EU-Öko-Verordnung vorgeschrieben wird.

Mit seinen Existenznöten ist der Milchbauer nicht allein: Der gesamte Absatzmarkt für Kälber und Schweine ist zusammengebrochen. »Seit Mitte März stocken die Warenströme von Rindfleisch aus Deutschland heraus nach Italien, Frankreich und Spanien empfindlich stark«, heißt es im aktuellen Statusbericht des Deutschen Bauernverbandes. Durch die Schutzmaßnahmen infolge der Pandemie wurde insbesondere der Außer-Haus-Verzehr, die Gastronomie und die Gemeinschaftsverpflegung, stark eingeschränkt. Dies betrifft in erster Linie Rindfleisch. Aber auch für Schweinefleisch bleibt die Verunsicherung über die weiteren Absatzmöglichkeiten groß.

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), sieht hauptsächlich logistische Probleme bei den Produkten tierischer Herkunft. So gibt es an den Grenzen wegen Personenkontrollen lange Staus von LKWs oder es fehlen Fahrer. Vor allem kleinere Molkereien in Italien haben aufgrund kranker Mitarbeiter die Verarbeitung eingestellt.

Die nicht verarbeitete Milch landet nun auf sogenannten Spotmärkten, dadurch sinken die Weltmarktpreise. Überschüssige Milch wird unter diesen Umständen als Magermilchkonzentrat oder Industrierahm gelagert. Wichtigster Importeur von Milchpulver ist China, jedoch für den Transport benötigte Container stehen noch in chinesischen Häfen. Auf absehbare Zeit wird es eine deutliche Verlagerung der Nachfrage hin zu kleineren haushaltsüblichen Verpackungen für private Haushalte geben, schätzen die DBV-Marktexperten.

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