Corona als politische Waffe

Fabian Goldmann über das westliche Versagen beim Kampf gegen Covid-19

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie werden wir uns an diese Tage zurückerinnern? Sicherlich an eine Zeit großer Solidarität: Eine Zeit, in der Junge zu Hause blieben, damit Alte überleben können, Regierungen milliardenschwere Rettungsprogramme auflegten und wir mit unseren unterrichtsfreien Kindern Masken für Ärztinnen und Krankenpfleger nähten. Vielleicht werden wir uns aber auch an jene erinnern, für die Solidarität auch zu Coronazeiten ein Fremdwort blieb: an Adidas und H&M. An Politiker, die unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung Flüchtlinge unter katastrophalen Bedingungen in Lager pferchten. Und an Regierungen, die Corona als Mittel der Propaganda entdeckten und Betroffenen aus politischen Motiven die Hilfe versagten.

Wie westliche Politik dazu beiträgt, das Leid von Menschen in der Corona-Krise zu erhöhen, kann man derzeit beispielsweise im Iran miterleben. Dass die Menschen dort besonders stark unter der Pandemie leiden, sei Folge der ideologischen Verbohrtheit des Regimes, liest man derzeit oft. Konsequenz der Tatenlosigkeit von Politikern, die die Gefahr zu lange leugneten. Daran ist nicht alles falsch. Wie an vielen Orten der Welt finden sich auch im Iran bis heute Stimmen, die beschwichtigen und verharmlosen.

Wahr ist aber auch: Iranische Behörden regierten schneller und entschlossener als viele ihrer Kollegen im Westen: Schon drei Tage nach Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle Mitte Februar, sagten iranische Behörden landesweit Kultur- und Sportveranstaltungen ab. Zum Vergleich: Die Bundesregierung brauchte dafür über zwei Wochen. Als im Iran Schulen und Universitäten längst geschlossen, Zehntausende Insassen aus Gefängnissen entlassen und Homeoffice für Tausende Staatsbedienstete angeordnet war, wurde hierzulande noch über die Absage von Fußballspielen diskutiert. Darüber dass Ärzte ohne Grenzen ein 48-Betten-Lazarett nicht errichten durfte, echauffierten sich viele Medien. Davon, dass iranische Behörden innerhalb von Wochen Notkliniken mit Tausenden Betten errichteten, erfuhr man kaum etwas.

Woran es im Iran mangelt, ist nicht der politische Wille: Es sind Masken, Medikamente und Beatmungsgeräte. Grund für diesen Mangel sind nicht iranische Politiker, sondern unsere. Schon vor Corona hatten westliche Sanktionen das Gesundheitssystem des Landes zugrunde gerichtet. Darauf weisen sowohl Human Rights Watch, UN-Experten oder das Medizinfachblatt »The Lancet« vielfach und schon seit Monaten hin.

Auch von deutschen Unternehmen ist in derzeitigen Krise keine Hilfe zu erwarten. Man kann sagen: Weil ihnen sonst ihrerseits Sanktionen durch die USA drohen. Man kann aber auch sagen: Weil Bundesregierung und Europäischen Union nichts aber auch gar nichts tun, um der Willkür der USA etwas entgegenzusetzen. Dabei hätten sie dabei nicht nur Moral und Völkerrecht, sondern auch billionenschwere Volkswirtschaften im Rücken.

Auch andernorts machen politische Feindschaften nicht einmal dann eine Pause, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten. Als das ebenfalls schwer sanktionierte Venezuela den Internationalen Währungsfonds um einen Hilfskredit bat, um die Corona-Epidemie im Land in den Griff zu kriegen, lehnte die amerikanisch dominierte Organisation umgehend ab. »Der Diktatur Geld zu geben, hieße, es zu verschwenden«, ließ der »Spiegel« in einem großen Interview den Putschisten und selbst erklärten Interimspräsidenten des Landes Juan Guaidó die Verweigerung von Hilfe rechtfertigen.

Dass es auch anders geht, zeigen beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate. Als eines von wenigen Ländern kamen sie dem Iran zu Hilfe - trotz gegenseitiger politischer Feindschaft. Und auch Europa bekommt die internationale Solidarität zu spüren: Als das von der Pandemie schwer betroffene Italien um Hilfe bat, landeten bald darauf am Flughafen von Rom Frachtflugzeuge mit Tonnen voll Masken, Beatmungsgeräten, medizinischem Material sowie Hunderten Ärzten und Ärztinnen. Geschickt wurden sie nicht aus den europäischen Partnerstaaten, sondern aus Kuba, China und Russland. »Krude Propaganda«, »Europa verliert den Kampf der Bilder«, und »politische Interessen«, schimpften daraufhin zahlreiche deutsche Leitmedien. Da mag etwas dran sein. Aber besser man rettet Menschen aus politischen Motiven, als sie aus politischen Motiven sterben zu lassen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal