Markiert die Coronakrise den »Peak Oil«?

Es gibt einen massiven Einbruch bei der weltweiten Ölnachfrage - dieser könnte von Dauer sein

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Nachfrage nach Öl steigt von Jahr zu Jahr. Ausnahmen von dieser Regel waren extrem selten. Im Jahr 2009 brauchte es eine globale Finanz- und Wirtschaftskrise, damit die Nachfrage leicht zurückging. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass der Ölverbrauch sinken muss, wenn die Menschheit die Klimaerwärmung stoppen will. Die Frage ist daher nicht, ob, sondern wann der Höhepunkt der Förderung und Nachfrage, der »Peak Oil«, erreicht sein wird. Der Umwelt-Thinktank Carbon Tracker erwartete in einer Studie von 2018 dies schon für das Jahr 2023. Andere gehen davon aus, dass dieser Scheitelpunkt erst im nächsten oder sogar übernächsten Jahrzehnt erreicht wird. Könnte die Coronakrise daran etwas ändern?

Tatsächlich ist ein beispielloser Rückgang des Ölverbrauchs zu kon-statieren. Dieser war im März um zehn Millionen Barrel (159 Liter) pro Tag geringer als vor einem Jahr, was einem Minus von rund zehn Prozent entspricht. Für April wird sogar erwartet, dass pro Tag 20 Millionen Barrel weniger verbraucht werden. Das Ergebnis sind fallende Preise, verschärft durch einen Preiskrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien. Ob dieser bei dem auf diesen Donnerstag verschobenen Gipfel der Opec-Staaten plus Russland beigelegt werden kann, ist offen. Zumal der dritte große Player am Erdölmarkt, die USA, nicht mit von der Partie ist.

Ohnehin spielt der Preiskrieg keine Rolle mehr, meint die Investmentbank Goldman Sachs: »Dieser ist irrelevant wegen des großen Nachfragerückgangs. Eine koordinierte Förderkürzung kann unmöglich rechtzeitig erreicht werden.« Darüber hinaus erwarten die Analysten, dass die Ölindustrie nach der Krise nicht wieder auf ihren alten Wachstumspfad zurückkehren wird: Die Krise werde voraussichtlich »die Energieindustrie dauerhaft verändern« und die »Debatte über den Klimawandel verschieben«.

Beim Ölverbrauch ist der Straßenverkehr entscheidend, denn auf diesen entfällt die Hälfte der Nachfrage. Hier führen bereits mehrere Faktoren zu einem tendenziellen Rückgang. Regierungen sorgen mit Emissionsgrenzwerten dafür, dass Lastwagen und Autos effizienter werden. Gleichzeitig werden Elektroautos immer konkurrenzfähiger, weil die Kosten für Batterien rapide sinken. Durch die zu erwartenden Konjunkturprogramme nach der Krise könnte der Ausbau der Infrastruktur für die Elektromobilität stärker gefördert werden. Außerdem könnte die Zahl der Autos weltweit sinken; die Verkäufe gehen bereits seit dem Rekordjahr 2017 zurück. Volkmar Denner, der Chef des Automobilzulieferers Bosch, sagte bereits im Januar: »Es könnte gut sein, dass wir den Höhepunkt der Autoproduktion passiert haben.« Die größten Automärkte, also die USA, China und Europa, seien gesättigt. Städte versuchen das Auto zurückzudrängen, und viele junge Menschen machen gar nicht erst den Führerschein oder setzen auf das Carsharing.

Die Ölnachfrage gerät aber auch in anderen Bereichen unter Druck. So wird der Verkauf von Ölheizungen in vielen Ländern verboten, in Deutschland ab dem Jahr 2026. Durch die Bemühungen vieler Staaten, die Plastikflut einzudämmen, sinkt die Ölnachfrage der petrochemischen Industrie. Auch die Seeschifffahrt will ihre Emissionen deutlich senken.

Beim Flugverkehr ist fraglich, wie sich dieser nach der Coronakrise entwickeln wird, die für einen weitgehenden Stillstand sorgt. Diese Branche ist zwar nur für acht Prozent der Ölnachfrage verantwortlich, aber sie wuchs zuletzt sehr schnell. Das könnte sich ändern. »Je länger wir zu Hause sind, im Homeoffice mit Telekonferenzen, desto mehr Menschen werden sich fragen: Müssen wir wirklich in den Flieger?«, schreibt Mark Lewis von der französischen Großbank BNP Paribas. Auch Boeing-Chef David Calhoun erwartet, dass die Flugbranche nach der Krise anders aussehen wird: »Wenn die Welt aus der Pandemie auftaucht, werden die Größe des Marktes und die Art der Produkte, die unsere Kunden wollen, wahrscheinlich anders sein.«

Dass die Ölnachfrage auf Dauer sinken wird, könnte der eigentliche Grund für Saudi-Arabien sein, ausgerechnet jetzt die Produktion zu steigern, was den Preis weiter in den Keller treibt. Bernard Haykel, Professor für Nahoststudien an der US-Universität Princeton, sieht darin einen »fundamentalen Strategiewechsel«. Da eine globale Energiewende unvermeidlich sei, »will Kronprinz Mohammed bin Salman noch verzweifelt Kasse machen, solange das Königreich das noch kann«. In normalen Zeiten würden die sinkenden Preise für eine steigende Nachfrage sorgen. Mittlerweile könnte dies aber ein Hinweis auf das Gegenteil sein: dass die Nachfrage dauerhaft sinkt.

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