Mundschutz ist kein Maulkorb

Andreas Fritsche über schwer zu begreifende Vorschriften

Man kann den rund 180 Menschen, die am Sonntag vor einer Bäckerei in Potsdam eine als Warteschlange getarnte Menschenkette gebildet haben, nicht vorwerfen, dass sie die Coronakrise auf die leichte Schulter nehmen. Gerade die Sorge um die Folgen einer Epidemie in den beengten Verhältnissen von Asylheimen und unter den unhygienischen Bedingungen griechischer Flüchtlingslager trieb sie auf die Straße.

Die Bevölkerung sieht die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen überwiegend ein. Widerspruch regt sich gegen Maßnahmen, deren Sinn nicht erkennbar ist. Warum soll eine Menschenkette mit Abständen nicht möglich sein, wie sie zwischen den Regalen der Lebensmittelläden schwer einzuhalten sind? Warum werden Parks mit weiten Wiesen abgesperrt, wenn sich Menschen, die mal frische Luft schnappen müssen, dann auf engen Bürgersteigen kaum ausweichen können? Warum werden Besuche im Hospiz eingeschränkt, wenn die unheilbar kranken Patienten dort sowieso bald sterben müssen - und dies nun ohne den Trost der Angehörigen? Was soll die Begründung dafür sein?

Dass aber in Brandenburg einerseits Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Bußgelder androht und andererseits Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) laut über Lockerungen der Bestimmungen nachdenkt, sorgt nicht für die nötige Klarheit. So vertrauenserweckend der Regierungschef sonst sein mag, in dieser Frage glaubt man der Ärztin Nonnemacher eher als dem Agraringenieur Woidke.

Vom Gefühl her fangen schon wieder mehr Unvernünftige an, es mit den Abstandsregeln nicht so genau zu nehmen. Dabei sollten wir noch Vorsicht walten lassen. Die Wartenden vor der Bäckerei in Potsdam waren übrigens vorsichtiger als die Polizisten, die ohne Mundschutz anrückten, vorsichtiger insbesondere als der eine Beamte, der sich unvermittelt vor einem vorbeilaufenden Aktivisten aufbaute und ihm ein Bein stellte.

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