»Wir fahren auf Sicht«

Seefahrermetaphern prägen in Covid-19-Zeiten die Bildende Kunst: Wie gehen Galerien und Ausstellungshäuser in Berlin mit der Krise um?

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Was wären Museen und Galerien ohne Kunst? In der Kunststadt Berlin haben die Bewegungseinschränkungen im Zuge der Pandemie die Ausstellungshäuser hart getroffen. Privaten Galerien sind die Einnahmen komplett weggebrochen. Die Gesprächssituation zwischen potenziellen Käufern, Künstlern und dem Galeristen könne man online nicht simulieren, meint Kristian Jarmuschek von der Berliner Galerie Jarmuschek und Partner. »Man begibt sich dabei in einen Raum und tritt in Beziehung zu dem Kunstwerk. Es gibt kein digitales Format, dass diese Beziehung vermitteln kann, zumindest nicht einem vertretbaren Verhältnis von Aufwand und Nutzen«, konstatiert Jarmuschek. Verkäufe fänden deshalb in der gegenwärtigen Situation gar nicht statt. Geplante Ausstellungen hat Jarmuschek verschoben. »Wir fahren auf Sicht«, beschreibt er die Kalenderplanungen.

Noch härter als die Umstellungen im eigenen Ausstellungsbetrieb traf ihn die notwendige Verschiebung der von ihm mitorganisierten Messe Paper Positions. Mit den verschiedenen Ausstellern und Künstlern hält er per Videokonferenz Kontakt. »Wir bitten unsere Partner auch um kurze Videostatements zu ihrer jetzigen Situation«, erzählt er dem »nd«. Die Videos sollen dann als Erinnerungsbilder während der Messe gezeigt werden.

In den öffentlich finanzierten Ausstellungshäusern schlägt die Situation weniger bedrohlich aus. Der großzügig angelegte Skulpturenpark rings um das Haus am Waldsee kann einzeln oder zu zweit sogar weiter besucht werden. Die Hälfte der Mitarbeiter sei in Kurzarbeit, die andere Hälfte arbeite Vollzeit an kommenden Projekten oder der Nachbereitung vergangener Projekte weiter, teilt Sprecher Erik Günther dem »nd« mit.

Im Gropius-Bau bemühte sich Direktorin Stephanie Rosenthal, dass zumindest der Aufbau der neuen Ausstellung des taiwanesischen Künstlers Lee Mingwei abgeschlossen werden konnte. »So sind wir bereit, wenn die Beschränkungen wieder aufgehoben werden und die Menschen zu uns kommen können«, sagt sie dem »nd«. Der Ausstellungsaufbau sorgte auch dafür, dass einige der freischaffenden Mitarbeiter noch ein paar Tage länger bezahlt werden konnten. Für die Festangestellten gilt Home-Office. Die Aufsichtskräfte sind in Kurzarbeit. Bei diesem über eine externe Firma angestellten Personal prüft Rosenthal derzeit, wie lange das fehlende Drittel des Lohns beigesteuert werden kann.

Kleinere Ausstellungshäuser sind durch die laufenden Kosten gleich direkt in ihrer Existenz gefährdet. Bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) etwa sind die Aufsichtskräfte über Minijob-Verträge angestellt. Das ist einerseits eine prekäre Situation für die Beschäftigten. Andererseits berechtigt sie dies zu Lohnfortzahlungen seitens des Arbeitgebers. »Auf diesen Kosten bleiben wir sitzen und müssen sie aus unseren nicht vorhandenen Rücklagen bezahlen«, beschreibt Annette Maechtel, Geschäftsführerin der NGBK, das Dilemma.

Problematisch für den basisdemokratisch organisierten Kunstverein ist auch, dass die Aufsichtskräfte aus Projektmitteln finanziert werden. Weil die Projekte aber auf einen späteren Zeitraum verschoben wurden, stehen diese Mittel zum Teil jetzt noch nicht zur Verfügung. Paradox ist, dass ausgerechnet das Aufsichtspersonal in der NGBK, also dem traditionell linken der beiden Berliner Kunstvereine, schlechtergestellt ist im Vergleich zu den größeren Häusern. Noch bitterer ist in diesem Zusammenhang, dass Aufsichtskräfte in der NGBK oft auch selbst künstlerisch tätig sind.

Viele haben bereits an eigenen Ausstellungen in der NGBK gearbeitet, die aber auf das nächste Jahr verschoben wurden. Um diese Künstler finanziell nicht komplett im Regen stehen zu lassen, zahlte die NGBK Teile des vereinbarten Honorars jetzt als Vergütung zur Ausstellungsvorbereitung aus, berichtet Maechtel. Das lindert etwas die Not.

Generell jedoch schätzt Valentin Döring von der Abteilung Bildende Kunst der Gewerkschaft Verdi die Situation der bildenden Künstler als »dramatisch« ein. »Ihnen geht es wie vielen Soloselbstständigen, die wegen der ohnehin geringen Einkünfte keine Rücklagen bilden können«, sagt er dem »nd«. Er lobt aber auch die staatliche Soforthilfe. »Besonders gut ist das Berliner Modell, weil es auch Ersatz für ausgefallene Honorare vorsieht. Das ist unseres Wissens nach in den anderen Bundesländern nicht der Fall«, so Döring. Das Programm war allerdings bereits am 1. April ausgeschöpft.

Der Shutdown führt für Künstler aber nicht nur zu finanziellen Verlusten. Weil ihre Ausstellungen nicht zugänglich sind, entfällt für sie die Möglichkeit, Galeristen, Sammler und Kuratoren in direkter Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit für weitere Karriereschritte zu gewinnen. »Ich hatte mich gefreut, dass die Ausstellung im NBK über zwei Monate gehen sollte. Ich hatte geplant, zahlreiche meiner Kontakte in die Ausstellung einzuladen. Ich bin auch auf der Suche nach einem Galeristen. Es ist etwas anderes, im direkten Kontakt mit dem Werk zu sein als nur ein Portfolio zu verschicken. Die Materialität meiner Arbeiten lässt sich auf einem Foto auch nur unzureichend vermitteln«, macht Künstler Philip Wiegard auf Folgeprobleme aufmerksam. Er gehört zu den Gewinnern eines Arbeitsstipendiums des Berliner Senats, deren Werke in der Gruppenausstellung »These Are the Only Times You Have Known« im Neuen Berliner Kunstverein (NBK) zu sehen gewesen wären, wenn die Ausstellung denn weiter zugänglich wäre. Die Zeit des Shutdowns überbrückt Wiegard vor allem mit Recherchen und Veröffentlichungen auf Instagram.

Die Ausstellungshäuser reagieren mit Videoarbeiten ihrer Künstler, die sie online stellen. Auf der Website von Jarmuschek & Partner ist der Kurzfilm »Jedes Zimmer hinter einer Tür« von Petra Lottje zu sehen. Die Künstlerin stellt hier lippensynchron Filmszenen nach. Das Haus am Waldsee publiziert Corona-Tagebücher seiner Künstler. Ein Foto zeigt unter anderem eine Szene aus der Performance »The Honey Project«, in der bereits im Jahr 2018 Shahar Marcus und Nezaket Ekici in Rahmen agierten, die nun wie eine Vorwegnahme des aktuellen Social-Distancing wirken. Auf der Webseite des Gropius-Baus sollen in Kürze partizipative Online-Projekte von Lee Mingwei hochgeladen werden. Und die NGBK geht sogar mit ihrer Mitgliederversammlung online. Die derzeit etwa 950 Mitglieder sollen die zu realisierenden Projekte des nächsten Jahres auswählen und sich in Chaträumen darüber austauschen.

All dies sind tastende Anstrengungen, der Versuch, in komplizierten Zeiten Normalzustände zu simulieren. Zum Fahren auf Sicht in der Seefahrt gehört, in kurzen Zeiträumen Tonsignale auszusenden, um Kollisionen zu vermeiden. Viele Onlineaktivitäten in der Bildenden Kunst wirken ähnlich: Akustische Signale im Nebel, die belegen sollen, dass man noch da ist.

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