Nicht allein

Kampfstern Corona (Teil 11)

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Berliner Innenstadt seine Ruhe zu haben, ist ja ohnehin kaum möglich. Zu den inzwischen fast vier Millionen Menschen, die permanent hier leben, kommen jährlich noch einmal gut eine Million Touristen dazu. Das macht das Leben in der Großstadt nicht gerade leichter. Denn ohne ein Fleckchen an der frischen Luft nur für sich, ein bisschen selbstauferlegte Einsamkeit, ist es schwer, seinen Seelenfrieden zu finden. In Berlin sitzt man nicht lange allein auf einer Parkbank oder läuft durch einsame Gassen. Wer jetzt glaubt, der Ausbruch eines hochgradig ansteckenden Virus würde daran etwas ändern, der irrt.

Die Nachrichtensendungen zeigen Bilder von menschenleeren Straßen auf der ganzen Welt - welch sehnsuchtsvoller Anblick! Das soll jetzt keine dieser »Hier hält sich keiner an die Auflagen«-Klagen werden. Doch in Berlin lässt sich derzeit gut beobachten, wie in Großstädten die Menschen noch enger zusammengepfercht werden, wenn man den öffentlichen Raum eingrenzt.

Seitdem die Landesregierung beschlossen hat, gegen die Ausbreitung des Coronavirus neben den Kneipen auch die Restaurants, Cafés und den Großteil der Läden zu schließen, sind zwar Einkaufsmeilen und Kieze verhältnismäßig leer. Dort gibt es jetzt nichts mehr zu tun.

Jetzt strömen aber alle in die »Natur«. Ob zur Bespaßung der (noch) schulbefreiten Kinder oder um mit körperlicher Ertüchtigung einem Lagerkoller vorzubeugen, die Devise (und einzig verbleibende Möglichkeit) lautet: Ab in den Park! Auch für den Kaffee im Pappbecher oder das Spätibier zu zweit als Gegenmaßnahme zum Social Distancing - alles drängt sich jetzt auf die Grünflächen der Stadt.

Wer sich derzeit nach einem einsamen Spaziergang sehnt, wird trauern. Jogger tänzeln im Slalom um einen herum, überall fliegen Frisbees und Fußbälle durch die Gegend, Kinderwagen bilden Staus, und von allen Seiten rollen langsam und bedrohlich die Polizeiwannen heran. Kindergeschrei übertönt die Aufforderungen aus den Lautsprechern, schnell wieder nach Hause zu gehen und nirgendwo zu verweilen. Seelenfrieden? Weit gefehlt!

Aber zu Hause ist es auch nicht besser. Jetzt, wo die meisten gefühlte 23 Stunden am Tag daheim sind, ob im Homeoffice oder in der Selbstquarantäne, wird spürbar, dass das Prinzip Mehrfamilienhaus eigentlich nicht tragbar ist. Zu viele Menschen auf zu engem Raum, getrennt durch zu dünne Wände. Von links dröhnt die Stimme des Nachrichtensprechers durch die Wand, die Sportübungen vom Nachbarn von oben lassen den Putz von den Wänden rieseln, die Frau von unten skypt offenbar mit schlechter Internetverbindung - und öffnet man die Fenster, hört man statt Vogelgezwitscher, wie das halbe Haus gerade mit dem Staubsauger in der Hand den Frühjahrsputz beginnt.

Einsamkeit in der Großstadt? Kein Grund zur Sorge: Solange es das Coronavirus gibt, ist hier niemand allein. Maria Jordan

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