nd-aktuell.de / 18.04.2020 / Kultur / Seite 11

Sexsklavinnen & Tigerbabys

Die Netflix-Serie »Großkatzen und ihre Raubtiere« ist wie eine Achterbahnfahrt: Zuerst hat man Spaß, dann ist einem schlecht

Veronika Kracher

Ursprünglich hatte der Filmemacher Eric Goode geplant, eine Dokumentation über den inhärent ausbeuterischen Handel mit exotischen Tieren zu drehen. Dann traf er auf »Joe Exotic«: den schwulen, Vokuhila tragenden, bis an die Zähne bewaffneten, käsige Country-Schlager singenden »Tiger King«. Mit und über ihn drehte Goode daraufhin eine Netflix-Serie, die hierzulande mit dem Titel »Großkatzen und ihre Raubtiere« versehen wurde. Der mit dem bürgerlichen Namen Joseph Schreibvogel geborene Joe Exotic ist quasi die Redneck-Version von Siegfried und Roy: bekleidet mit schillernden Paillettenhemden, Wildlederfransenjacken und Cowboy-Accessoires und Besitzer eines Privatzoos mit über 200 Tigern. Seit gut zwanzig Jahren liefert er sich eine bittere Fehde mit Tierrechtsorganisationen im Allgemeinen und einer Frau im Besonderen: Carole Baskin, Leiterin von »Big Cat Rescue«, einem Park für aus der Gefangenschaft befreite Großkatzen. Schenkt man Joe Exotic Glauben, ist die nicht minder exzentrisch gekleidete Frau jedoch nicht nur Tierschützerin, sondern auch für den Tod ihres milliardenschweren Ehemannes verantwortlich: Angeblich soll sie ihn an ihre Tiger verfüttert haben.

Exotic und Baskin sind nur zwei aus einer ganzen Armada an Protagonist*innen, die dafür sorgen, dass das Ganze mehr nach trashiger Reality-Serie aussieht als nach »seriöser« Dokumentation. Tatsächlich ist »Großkatzen und ihre Raubtiere« weniger eine Dokumentation als eine schillernde, absurde, campy True-Crime-Show, bei deren Betrachtung sehr schnell deutlich wird, dass es weniger um Tierschutz geht als um den voyeuristischen Blick auf die absolute What-the-fuckery der Welt von Joe Exotic, der inzwischen im Gefängnis sitzt. Verurteilt wurde er, weil er jemanden mit dem Mord an seiner Erzfeindin Carole Baskin beauftragt haben soll.

Zu den weiteren Protagonist*innen der Serie zählen: der Guru eines Tiger-Sex-Kultes (ja, tatsächlich), der junge Frauen manipuliert, seine Sexsklavinnen zu werden; ein Mann, der als Vorlage für den »Scarface«-Protagonisten Tony Montana diente; und einer dieser, nun ja, sagen wir: Geschäftsmänner, der sowohl die Donald-Trump-Akademie für Business als auch den Umgang mit Frauen mit Bestnoten absolviert zu haben scheint, Tigerbabys in Hotels in Las Vegas schmuggelt und mittels der Tiere junge Frauen für Sex mit ihm und seiner gequält wirkenden Partnerin zu begeistern versucht. Des Weiteren treten auf: ein junger Libertärer, der Joe Exotic bei dessen Wahlkampf - er will erst Präsident, dann Gouverneur werden - unterstützt; ein Zoowärter ohne Beine; ein einarmiger junger trans Mann und die beiden jungen Männer, mit denen Joe Exotic verheiratet ist. Sie alle verbindet der Besitz von oder eine Vorliebe für Großkatzen, die in den USA zum Teil immer noch als Haustiere gehalten werden dürfen und in Privatzoos gezüchtet und zur Schau gestellt werden. Gerade das Posieren mit Tigerbabys ist, glaubt man der Serie, ein Millionengeschäft: In den wenigen Monaten, in denen ein Tiger noch klein, niedlich und ungefährlich genug ist, um mit ihm für Selfies zu posieren, lassen sich mit ihrer Zurschaustellung und Foto-Sessions laut der Serie über 100 000 Dollar Profit erzielen.

Naheliegend ist, dass die Faszination für »Tiger King« eine ähnliche ist wie die für, sagen wir mal: Honey BooBoo, die Kinder-Schönheitskönigin aus dem Prekariat. Reality-Fernsehen funktioniert hier als Distinktionsmittel, um sich zu vergewissern, dass man selbst vielleicht nicht der Inbegriff von Weisheit und Edelmut ist, aber eben auch nicht »die da« im Fernsehen. In Deutschland besonders populäre »die da« als Distinktionsobjekte sind Prekarisierte, vor allem prekarisierte US-Amerikaner*innen, denn denen gegenüber kann man sich so richtig gut als Teil einer imaginierten »deutschen Kulturnation« fühlen.

Das Narrativ der Serie masturbiert sich an der absurden Parallelwelt eines gesellschaftlichen Außenseiters wie Exotic entlang und versucht eher, eine möglichst schockierende Geschichte zu erzählen, als Wahrheitsfindung zu betreiben oder ein differenziertes Bild darzustellen. Das betrifft vor allem Carole Baskin, die dem charismatischen Underdog Joe Exotic als verbissene Intrigantin und Heuchlerin gegenübergestellt wird. Die Serie trägt maßgeblich Mitschuld daran, dass gerade eine Armada von Amateurdetektiven versucht, Beweise dafür zu finden, dass »diese Schlampe Carole Baskin« ihren in kriminelle Machenschaften involvierten Ehemann umgebracht hat. Dass es sich bei dem Großteil der männlichen Protagonisten der Serie, vor allem beim selbst ernannten Guru Bhagavan »Doc« Antle - den Doktortitel erwarb er im Fach »Mystical Science« -, um sexuelle Gewalttäter und Ausbeuter handelt, wird dagegen nur angerissen. Auch die Tatsache, dass das private Halten von Raubtieren wie Tigern auf engem Raum schlicht Tierquälerei ist, spielt eine weit geringere Rolle als Joe Exotics Obsession damit, Carole Baskin das Leben auf jede erdenkliche Art und Weise zur Hölle zu machen.

Ausbeutung ist das zentrale Moment, das sich wie ein roter Faden durch die Serie zieht, zumindest, wenn man die obere Schicht aus Absurdität und Tigerkot abgekratzt hat: die Ausbeutung von Menschen, die für hundert Dollar die Woche oder - im Falle der mehreren »Ehefrauen« von »Doc« Antle - ganz ohne Bezahlung zwölf Stunden täglich in den Privatzoos arbeiten, und die Ausbeutung von Tieren, die hier lediglich als Statusobjekte dienen, die es zu beherrschen gilt, wie man die Natur als solches beherrschen möchte.

»Großkatzen und ihre Raubtiere« ist eine Groteske über den amerikanischen Traum, die aufzeigt, dass die Vorstellung des kapitalistischen Glücksversprechens immer nur auf Ausbeutung und Unterdrückung basieren kann. Der Besitz von Großkatzen ist, wie mehrere Interviewpartner*innen in der Serie betonen, eine Sache von Macht: Wer die Herrschaft über ein derart gefährliches Raubtier ausüben kann, eignet sich einen Teil der Macht des Tieres an. Die Serie liefert eine Kostprobe dieser Herrschaft. Vielleicht macht sie das neben der Katastrophe, zu der sich die Karriere von Joe Exotic entwickelt hat, so faszinierend, dass sich die Online-Welt zum ersten Mal seit Wochen mit etwas anderem beschäftigt als mit Covid-19. »Großkatzen und ihre Raubtiere« ist ein wenig wie eine Achterbahnfahrt: In einem Moment ist die Serie spaßig und begeisternd, doch sobald sie zu Ende ist, ist einer dann doch schlecht.

»Großkatzen und ihre Raubtiere« (»Tiger King«), 7-teilige Doku-Miniserie. Abrufbar auf Netflix.