Geflüchtete in Zwangsisolierung

Beengte Wohnverhältnisse machen in Bayern die Einhaltung von Hygieneregeln in der Corona-Krise unmöglich

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 4 Min.

In Bayern stehen Flüchtlinge und ihre Unterstützer vor besonderen Herausforderungen. In der Corona-Krise gelten strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, um die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren. Vor allem in den Asylunterkünften macht sich das stark bemerkbar. Denn egal, ob es die hauptamtliche Asylsozialberatung oder die vielen ehrenamtlichen Helfer sind: Fast überall mussten sich die Unterstützer aus Sicherheitsgründen vorübergehend aus den Unterkünften zurückziehen.

»Die Situation ist gerade sehr schwierig«, sagt Stephan Theo Reichel dem »nd«. Als Vorstand von »Matteo«, einem Verein engagierter Asylhelfer, hält er regen Kontakt zu Ehrenamtlichen und Geflüchteten. »Die fühlen sich sehr alleingelassen«, sagt Reichel über die Bewohner der Sammelunterkünfte. Rund 80 bis 90 Prozent der Kontakte seien plötzlich weggebrochen. »Die ehrenamtlichen Helfer können nichts anderes machen, als die Leute anzurufen und mit ihnen über WhatsApp zu kommunizieren.«

Schlimmer ist die Situation freilich für die Geflüchteten selbst. Rund 68 548 Menschen müssen derzeit in Gemeinschaftsunterkünften oder in Einrichtungen mit mehreren Wohnungen leben. Das geht aus Statistiken des Innenministeriums hervor. Für Reichel sind Probleme programmiert, wenn man an dieser Art der Unterbringung festhält. Der »Matteo«-Vorstand erinnert an die beengte Raumsituation, an die Mehrbettzimmer und die Hygieneprobleme, wenn so viele Menschen dieselbe Küche, dieselben Duschen oder Toiletten benutzen müssen.

Auch Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat weiß um diese schwierigen, belastenden Umstände. »Das Infektionsrisiko von Flüchtlingen in Unterkünften ist ein riesengroßes Thema«, sagt er dem »nd«. Die Bewohner könnten sich überhaupt nicht zurückziehen, an die Einhaltung von Mindestabständen oder das Einschränken sozialer Kontakte sei ohnehin nicht zu denken. »Alles, was die Virologen und Epidemiologen an Vorkehrungen empfehlen, lässt sich in den Unterkünften nicht umsetzen«, beklagt er.

Die Informationspolitik lässt aus Sicht von Reichel und Thal ebenfalls zu wünschen übrig. In den Unterkünften selbst werde oft per Aushang über die Pandemie und über mögliche Schutz- und Hygienemaßnahmen informiert. Dennoch seien viele Flüchtlinge verunsichert, der Informationsstand sei allgemein schlecht. Reichel berichtet von Telefonaten, bei denen er Geflüchtete beruhigen und über die Situation aufklären musste. Ähnliche Erfahrungen hat Thal gemacht. Unter den Bewohnern herrsche eine »große Verunsicherung«, sagt er. »Denn niemand weiß etwas Genaues. Die Behörden sagen einem nicht viel und die Berater der Wohlfahrtsverbände sind oftmals aus den Unterkünften abgezogen worden.«

Vor einigen Tagen habe das Innenministerium zwar einen neuen Informationsbrief veröffentlicht, der eine »unglaublich lange Liste an Informationsmaterial« beinhaltet, das per Internet abgerufen werden kann. »Das Ganze hat aber einen großen Haken: In den meisten Unterkünften gibt es kein WLAN, in das man sich schnell einwählen kann«, kritisiert Thal. »So sind die Leute weiter von den Infos abgeschnitten.« Dabei sei WLAN gerade jetzt besonders wichtig, sagt auch Stephan Reichel von »Matteo«. Jedes Zimmer müsse eigentlich einen WLAN-Zugang haben - zumal viele Flüchtlinge so Deutsch lernen oder Materialen für die Schule bearbeiten können.

Die Massenunterbringung, an der Bayern noch immer festhält, sei während einer Pandemie besonders fatal. Schon seit Jahren fordern Flüchtlingsrat und »Matteo« ihre Abschaffung. In der jetzigen Krisensituation lasse sie sich freilich nicht von einem Tag auf den anderen beenden. Kurzfristig sollten Geflüchtete deshalb in leerstehenden Hotels und Jugendherbergen untergebracht werden, um so die Situation zu verbessern, fordern Thal und Reichel übereinstimmend. Mit Einzelzimmern und separaten Bädern lasse sich dort die nötige Sicherheit besser gewährleisten. Bleibe alles so, wie es ist, schwebten Flüchtlinge »in allergrößter Gefahr«.

Thal findet, es sei »total verquer und hirnrissig«, dass die Regierung strenge Vorgaben erlasse und deren Einhaltung kontrolliere, dass es Flüchtlingen in staatlichen Einrichtungen aber gar nicht möglich sei, sich daran zu halten. In der jetzigen Situation müsse der Infektionsschutz klar im Vordergrund stehen, betont der Sprecher des Flüchtlingsrates. »Ich erwarte, dass Bedingungen geschaffen werden, damit sich Flüchtlinge an alle Regeln halten können«, fordert er.

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