Rechtes Theater in Mitte

Wieder findet eine »Hygiene-Demo« vor der Volksbühne statt - der Gegenprotest wächst

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein älterer Herr schlendert über den Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne in Berlin-Mitte und lässt aus den Boxen, die er an seinem Rucksack befestigt hat, die Mitmenschen an der Musik des rechten Rappers Chris Ares teilhaben. Ein jüngerer Mann, eingekleidet in die Neonazi-Marke »Ansgar Aryan«, nickt dazu im Takt. Währenddessen meditiert der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, im Gesicht mit grauer Farbe angemalt, auf einem Wohnwagen gegen Corona. Einige Anhänger tun es ihm auf dem Boden gleich. Der AfD-Politiker Lars Günther aus Brandenburg gibt fleißig Interviews. Gitarrenspieler auf den Volksbühne-Stufen bejubeln derweil Jesus Christus. Die Blogger*innen unter den hier Versammelten filmen sich bei ihren Aktionen selbst - es fühlt sich an wie ein Fantreffen der Querfront.

An diesem Samstag spielt sich das Theater vor der Volksbühne ab. Und dieser Protest gegen die Einschränkungen der Corona-Verordnungen ist zur rechten Selbstinszenierung geworden. Deutlich mehr als 500 Menschen wollen hier am Rosa-Luxemburg-Platz zum fünften Mal »gegen die Einschränkungen von Grundrechten« demonstrieren. Die Initiative »Nicht ohne uns« hatte für dieses Mal auch eine Zeitungsverteilung angekündigt.

Eine zusammenhängende Versammlung kann Thilo Cablitz, Pressesprecher der Polizei, jedoch nicht erkennen. Seine Strategie: »Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation«, sagt er vor Ort zu »nd«. Wenn dies allerdings nicht dazu führe, dass Abstände auf dem Platz eingehalten werden, würden auch andere Mittel eingesetzt, so der Sprecher. Nachdem die Polizei Absperrungen um den Platz schließt, kommt es auch zu diesem Einsatz: 105 Identitätsfeststellungen, davon drei Ingewahrsamnahmen lautet die Bilanz der Polizei später. Will sie die Maßnahmen durchführen, werden die Beamt*innen mit »Wir sind das Volk«-Rufen ausgebuht. Am Lautsprecherwagens der Polizei blinkt die Anzeige »Gemeinsam gegen Corona«.

»Die Versammlung zieht ein diffuses Spektrum an«, schätzt Hamid Mohseni von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) die Situation ein. Es gebe keinen gemeinsamen inhaltlichen Ausdruck. Man könne, so der Experte, nur begrenzt darüber urteilen, ob Aussagen von Einzelnen repräsentativ für die gesamte Versammlung seien. »Es zeichnen sich jedoch zunehmend verbindende Elemente ab«, sagt Mohseni, der die Demonstrationen in den vergangenen Wochen regelmäßig beobachtet hat, zu »nd«. Dazu gehörten Verschwörungserzählungen und fehlende Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen. Die Pandemie werde als Lüge dargestellt oder als Machtinstrument tituliert.

So wird auch am Samstag erneut von einer »Neuen Weltordnung« schwadroniert oder Bill Gates als Strippenzieher der Pandemie dargestellt - und Aussagen werden mit antisemitischen Stereotypen versehen.

Rechtsextremismus-Experte Mohseni weiß, dass diese Art des Protests nicht nur in Berlin Teil der Antwort der Rechten auf den Virus ist. Auch in Ländern wie den USA oder Brasilien werden die Lockerungen mit rechten Protesten begleitet, die an das erinnern, was in Berlin geschieht. Auch hier werden USA-Fahnen geschwenkt - man bezieht sich positiv auf Trump.

Die Initiatoren der Zeitungsverteilung äußern sich nur am Rande zu den rechtsextremen Umtrieben. Der ehemalige taz-Journalist Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp, die als Verantwortliche auf der Website angegeben werden, geben keine Antwort auf Anfragen (»nd« berichtete). In einem Video auf der Plattform Youtube sagen sie, dass »richtige Nazis« bei ihren Aktionen keinen Platz hätten. Lenz trägt dabei ein Antifa-Shirt. Nach dem, was hier am Samstag sichtbar wurde, kann dieser Aussage klar widersprochen werden.

Die von Lenz und Sodenkamp herausgegebene Zeitung, die sie nach eigenen Angaben 100 000 Mal in Deutschland verteilen wollen, liest sich allerdings anders als vieles, was auf der hiesigen Versammlung kolportiert wird. Sie argumentiert für die Einhaltung von Grundrechten und nimmt aktuelle Diskurse um die Corona-Verordnungen auf. Wie es von diesem Ausgangspunkt zu der Art der Versammlung auf dem Rosa-Luxemburg-Platz kommen konnte, bleibt unklar. Fakt ist, dass es an deutlicher Abgrenzung nach rechts mangelt.

Die Einschränkungen durch die Verordnungen zu kritisieren, sieht David Kiefer, Sprecher des Berliner Bündnis gegen Rechts (BBgR), nicht als Problem an. »Es ist aber ein großes Problem, wenn man das mit Nazis zusammen macht«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Er fordert, einen klaren Trennstrich zu Rechten und Verschwörungstheoretikern zu ziehen: »Wer mit Nazis demonstriert, macht mit ihnen gemeinsame Sache.«

Aber die offensichtliche Präsenz von Neonazis stört die Protestierenden bisher scheinbar nicht.

Dafür machen Anwohner*innen ihre Position deutlich: In vielen Läden und Fenstern hängen Schilder gegen Rechts. Unter dem Motto »›Nicht ohne uns‹? Ohne uns!« protestiert auch ein wachsendes linkes Bündnis gegen die Querfront auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Man werde den Platz mit seiner historischen Bedeutung für den linken Widerstand nicht Rechtspopulisten überlassen, heißt es in einer Erklärung am Freitag. Auch die Leitung der Volksbühne distanzierte sich von der Demonstration vor dem Haus.

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