Unwissenheit ist keine Schwäche

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki untergräbt das Vertrauen in die Wissenschaft

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Unwissenheit ist ein Zustand, mit dem unsere Gesellschaft schwer umgehen kann. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Lücken zu schließen. Wo sie dies nicht zweifelsfrei kann, bleiben Fragen, die in eine grundsätzliche Skepsis, schlimmstenfalls sogar in Wissenschaftsfeindlichkeit umschlagen kann. Ungeklärtes führt dazu, dass wir uns jenseits der Wissenschaft mitunter eigene Erklärungen suchen, nur um die existierende Leere zu füllen. Rational und logisch geht es dabei oft nicht zu.

Die Coronakrise ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnell sich Teile der Gesellschaft verunsichern lassen, weil die Wissenschaft auf eine neue Frage nicht schnell genug abschließende Antworten liefern kann. Forschung braucht Zeit. Eine einzige Studie, ein einziger Experte liefert niemals die eine, entscheidene, gesicherte Erkenntnis. Ehrliche Forscher kommunizieren dies auch so. Damit unterscheiden sich Wissenschaftler grundsätzlich von den selbsternannten Experten, die über ihre Youtube-Channels und WhatsApp-Gruppen verkünden, die Wahrheit über Covid-19 zu kennen und auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung glaubt diesen Scharlatanen glücklicherweise nicht.

Doch das Vertrauen in die Wissenschaft kann ins Kippen geraten, wenn offizielle Stellen und Personen in öffentlichen Ämtern sich an dieser Scharlatanerie beteiligen. US-Präsident Donald Trump lieferte jüngst ein fatales Beispiel, in dem er das Gerücht verbreitete, das Conronavirus könnte aus einem chinesischen Labor stammen. Belege dafür lieferte er bis heute keine, wohl aber durch seine bloße Behauptung neues Material für Verschwörer, die als Referenz nun das Weiße Haus anführen können. Corona als Waffe? War da nicht auch irgendetwas mit biologischer Kriegsführung durch das Militär? Irgendein Zweifel wird schon irgendwie in den Köpfen hängen bleiben.

Ähnlich verantwortlungslos wie Trump verhält sich hierzulande der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki (FDP), immerhin Vizepräsident des Bundestags. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erklärte er am Dienstag, die vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Coronazahlen »vermitteln eher den Eindruck, politisch motivierte Zahlen zu sein als wissenschaftlich fundiert«. Insbesondere mit der Reproduktionszahl, die angibt, wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt, tut sich Kubicki schwer. »Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Der R-Wert des RKI steigt ausgerechnet zur Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten, bei der vor weiteren Lockerungen gewarnt werden soll«, so Kubicki.

Da ist es wieder, dieses Geraune, die bloße Behauptung, ohne den Anflug eines Belegs, allein darauf begründet, weil der Jurist Kubicki so ein Gefühl hat, anstatt zuzugeben, dass er die komplizierte Methodik hinter dem R-Wert nicht versteht. Kubicki ist weder Virologe, noch Epidemiologe, nicht einmal Mediziner. Diese Experten könnten es ihm erklären, zumindest so, dass es auch ein naturwissenschaftlicher Laie einigermaßen versteht. Doch das Eingeständnis, etwas nicht verstanden zu haben, fällt ganz besonders Politikern schwer, die Unwissenheit mit Schwäche gleichsetzen. Und als schwach will ein Kubicki schließlich nicht gelten.

Stattdessen kritisiert der FDP-Politiker Wissenschaftler, die sich inzwischen vermehrt mit Leuten konfrontiert sehen, die den Forschern ihre Arbeit erklären wollen, mitunter ihnen politische Motive unterstellen. Genau das macht Kubicki. Er deutet an, dass RKI sei ein verlängerter, willfähriger Arm der Bundesregierung. Zum Glück sitzt in diesen Tagen im Kanzleramt eine studierte Naturwissenschaftlerin und kein Trump oder Kubicki.

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