Verdrängung: Miete essen Kiezleben auf

  • Georg Sturm
  • Lesedauer: 2 Min.

»Wir sind das letzte Atelier in diesem Komplex«, sagt die finnische Filmemacherin Laura Horelli. 2006 hatte Horelli das Atelier in der Glogauer Straße 6 in Berlin-Kreuzberg gemeinsam mit dem Videokünstler Clemens von Wedemeyer bezogen, der als Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig lehrt. Nun soll hier für die aktuell insgesamt fünf Künstler*innen Schluss sein. Nachdem sie einer Mieterhöhung um 70 Prozent nicht zustimmen wollten, wurde ihnen zum 31. Mai gekündigt.

»In den letzten Jahren hat sich die Marktsituation in unserer Stadt im positiven Sinne dynamisch entwickelt. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Einfluss auf den Mietmarkt für Gewerbeflächen, insbesondere auch in Kreuzberg.« So leitete das Traditionsunternehmen Arnold Kuthe Immobilienverwaltungs-GmbH das Schreiben ein, das im August letzten Jahres im Briefkasten lag. 15,50 statt bisher 9 Euro sollten die Künstler*innen ab Juni 2020 pro Quadratmeter zahlen.

Auf eine Anfrage von »nd« reagierte das Unternehmen nicht. Die meisten Räume des Kreuzberger Gewerbehofs werden inzwischen an Start-ups aus dem IT-Bereich oder Architekturbüros vermietet, wie aus einem Immobilieninserat im Internet hervorgeht. Dort wird die 220 Quadratmeter große Atelierfläche für 5500 Euro monatlich zur Miete angeboten - noch einmal 1000 Euro mehr, als die Künstler*innen hätten zahlen sollen.

Das wäre das Ende einer langjährigen Tradition. Schon viele andere Ateliergemeinschaften seien durch die steigenden Mieten verdrängt worden, berichtet Horelli. Renommierte Maler*innen, Bildhauer*innen und Installationskünstler*innen arbeiteten einst in dem Komplex, darunter bekannte Namen wie Michel Majerus, Anselm Reyle und Wiebke Siem.

Dutzende Nachbarschaftsinitiativen, Galerien und Vereine wenden sich in einem Offenen Brief an den Vermieter mit der Forderung nach Erhalt der Ateliergemeinschaft. Mehr als 600 Menschen unterstützen diese Forderung auf der Petitionsplattform change.org. Sogar Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) setzte sich in einem Schreiben Anfang März für die Künstler*innen ein. Er verweist darauf, dass diese »ganz erheblich« das »weltoffene, moderne und kreative Klima in unserer Stadt« befördern, es ihnen aber immer schwerer falle, marktübliche Mieten zu zahlen.

Um die seit Jahren nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg grassierende Verdrängung von Kleingewerbe in Zukunft zu verhindern, fordert die Initiative »GloReiche Nachbarschaft« die Einführung eines Gewerbemietrechts und einen Gewerbemietspiegel. »Wir wissen von vielen Einjahresverträgen - wie sollen darauf Existenzen aufgebaut werden?«, fragt deren Mitglied Coni Pfeiffer. Insbesondere im künstlerischen und sozialen Bereich brauche es dringend mehr Regulierung. »Ansonsten werden unsere Kieze veröden.«

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