nd-aktuell.de / 02.05.2020 / Berlin / Seite 23

Airport Tegel ist angezählt

Weil der Luftverkehr ruht, soll der Flughafen ab 1. Juni befristet schließen

Tomas Morgenstern

Die Tage von Tegel sind gezählt, seit die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens BER im brandenburgischen Schönefeld zur Gewissheit wird. Dem Terminplan der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) zufolge wird eine Woche nach der zum 31. Oktober 2020 angekündigten Inbetriebnahme des BER der Flughafen Tegel am 8. November 2020 dicht gemacht. Aus luftverkehrsrechtlichen Gründen muss er noch sechs Monate betriebsbereit gehalten werden. Seit Mittwoch scheint es, dass die Frist für Tegel deutlich schneller ablaufen könnte. Möglicherweise ist es an der Zeit, sich vom Flughafen »Otto Lilienthal« zu verabschieden.

Am Mittwochabend hat die Betreibergesellschaft FBB, der die beiden Berliner Bestandsflughäfen Tegel (TXL) sowie Schönefeld (SXF) und der BER unterstehen, beim Luftfahrtbundesamt einen Antrag auf eine zeitweilige Befreiung von der Betriebspflicht in Tegel gestellt. Damit würde der Flugverkehr der Hauptstadt bis auf weiteres am Standort Schönefeld konzentriert. Vorausgegangen waren dem eine Aufsichtsratssitzung und eine Gesellschafterversammlung, in deren Verlauf der Aufsichtsrat dem von der FBB-Geschäftsführung vorgeschlagenen Vorgehen ohne Gegenstimme zugestimmt hatte. Im Anschluss an die Sitzung hatte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup vor der Presse erklärt: »Den Antrag, den wir heute noch den Behörden zuleiten werden, haben wir für den Zeitraum von zwei Monaten gestellt.« Es gehe um die temporäre Betriebsaussetzung spätestens ab 1. Juni.

Der von FBB-Geschäftsführer Lütke Daldrup überarbeitete und dem Aufsichtsrat vorgeschlagene Antrag ist bei den Gesellschaftern - dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg - umstritten. Mit einer ersten Fassung war er vor vier Wochen vor allem am Widerstand des Bundesverkehrsministeriums gescheitert. Wie Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider informierte, hätten sich die Gesellschafter, vertreten durch einen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium sowie die Finanzressortchefs der Brandenburger Landesregierung und des Berliner Sentas, am Mittwoch vertagt, um in zwei Wochen nochmals über Tegel zu beraten. Engelbert Lütke Daldrup zufolge hätten Berlin und Brandenburg aber Zustimmung signalisiert.

Entscheidend ist das Votum der Gesellschafter in diesem Falle wohl nicht. »Formell haben wir einen Aufsichtsratsbeschluss zur Antragstellung benötigt«, erläuterte der Geschäftsführer. »Insofern haben wir die Legitimation.« Die Gesellschafterversammlung habe zwar jederzeit ein Einspruchsrecht, das aber der Mehrheit der Stimmen bedürfe. Davon sei aber kein Gebrauch gemacht worden.

Die Aussichten stehen also nicht schlecht, dass Tegel, derzeit der viertgrößte Flughafen Deutschlands, Ende Mai vom Netz geht. Ein Anlass zum Triumph ist das für Engelbert Lütke Daldrup nicht, ihn treiben Vernunftsgründe und vor allem wirtschaftliche Zwänge zu einem so außergewöhnlichen Schritt, der nicht nur in Teilen der Berliner Bevölkerung unpopulär ist, sonder in jüngster Zeit auch auf heftigen Widerspruch seitens diverser Fluggesellschaften stieß. Denn wegen der Coronakrise ist der Flugverkehr in Europa fast zum Erliegen gekommen.

»Das erfolgt vor dem Hintergrund, dass wir in den letzten vier Wochen an beiden Berliner Flughäfen zusammen nur noch sehr wenig Verkehr hatten«, so Lütke Daldrup. Er liege bei einem Prozent des üblichen Verkehrs - das entspreche 1000 Fluggästen am Tag. Und eine baldige Rückkehr zum Normalbetrieb sei nicht zu erwarten. Der Flughafenchef rechnet mit einer längeren Anlaufphase, um das Niveau von vor der Krise wieder zu erreichen - beim privaten Reiseverkehr könne das ein Jahr dauern, im Geschäftsreiseverkehr vielleicht sogar zwei oder drei Jahre. »Wir erwarten jedenfalls in den nächsten absehbaren Monaten noch eine schwache Verkehrsnachfrage.« Doch die Betriebskosten laufen an den offen zu haltenden Flughäfen weiter, summieren sich in Millionenhöhe. Bei einem Weiterbetrieb von Tegel etwa mute man dem Steuerzahler zu, pro Tag 200 000 Euro für eine nicht benötigte Infrastruktur zu schultern.

»Darauf muss das Unternehmen, darauf müssen die Gesellschafter reagieren«, so Lütke Daldrup. Es sei seine Verantwortung als Geschäftsführer, in einer solchen Situation Maßnahmen zur Kostensenkung zu ergreifen. »Vor diesem Hintergrund haben wir untersucht, welcher der beiden Flughäfen am ehesten vom Netz genommen werden könnte.« Die Wahl sei auf Tegel gefallen, weil der Standort Schönefeld die besseren Voraussetzungen biete - vom Vorteil seien vor allem der 24-Stunden-Betrieb, das Vorhandensein eines Medizinzentrums und eines Frachtbereichs. »Natürlich haben wir in Schönefeld den direkten Bezug zum BER«, sagte er.

Der Flughafen Tegel ist vor allem eine Ikone des alten Westberlin. Tegel-Sympathisanten kämpfen bis heute um einen Erhalt des vertrauten Luftfahrtstandortes. Auch der Bund hält - angesichts einer in Schönefeld geschaffenen Alternative vernunftswidrig - an dem Standort als Regierungsflughafen fest. Und so kam postwendend Protest etwa von Sebastian Czaja, FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. »Die beantragte Schließung Tegels ist nicht nur traurige Nachricht für unsere Stadt, sie ist eine groteske Fehlentscheidung, die maßgeblich vom Flughafenchef selbst vorangetrieben wird«, schrieb er. Die Schließung einer systemrelevanten Infrastruktur sei unvernünftig und gefährlich. Kritik kam auch von der CDU, während die Berliner SPD und deren Chef, der Regierende Bürgermeister Michael Müller, für die Tegel-Stilllegung sind. In Brandenburg nahm die Linke-Landtagsabgeordnete Marlen Block die faktische Blockadehaltung der Gesellschafter aufs Korn. Sie warf der Bundesregierung vor, sie verschleudere in Tegel seit Wochen Millionen Euro an Steuergeld. Berlin und Brandenburg müssten diesen Irrsinn stoppen. »Die Schließung von Tegel ist längst überfällig«.

Die Frage, ob nach einer temporären Schließung von Tegel eine Wiederinbetriebnahme bis zur BER-Eröffnung wirtschaftlich sinnvoll wäre, ließ der Flughafenchef offen. »Wenn ich eine Glaskugel hätte, könnte ich diese Frage beantworten«, sagte er. »Mir geht es nicht darum, Tegel zu schließen, sondern dem Unternehmen und letztlich dem Steuerzahler Kosten zu ersparen, solange es keinen Flugverkehr gibt.« Am Campus BER werde dessen Inbetriebnahme in den neuen Terminals T1 und T2 sowie T5, dem bisherigen Schönefelder Flughafenterminal, zusammenhängend vorbereitet. Es klang ein wenig nach vorfristigem Abschied von Tegel.