Boing Boom Tschak

Zum Tod von Florian Schneider.

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Was bis Ende der 60er Jahre an deutscher Rockmusik entstand und im Ausland »Krautrock« genannt wurde, war zumeist Ergebnis des weniger gelungenen Versuchs, die angloamerikanischen Vorbilder zu imitieren. Bis in Hobbykellern und Hippiekommunen irgendwann Neuartiges, in Deutschland bisher Ungehörtes erklang, dem anzumerken war, dass die Grenzen der mediokren und von Epigonentum gekennzeichneten deutschen Populärmusik der Nachkriegszeit erweitert werden sollten.

Neben anderen das Klang- und Themenspektrum der Rockmusik ihrer Zeit vergrößernden und erneuernden, den Rock gewissermaßen gegen die Gebrauchsanweisung spielenden Bands formierten sich Gruppen wie Neu!, Can, Harmonia und vor allem Kraftwerk, die wohl bis heute bekannteste Band dieser Zeit. Kraftwerk, 1970 gegründet von Ralf Hütter und Florian Schneider in Düsseldorf, entwickelte sich ab Mitte der 70er Jahre von einer experimentierfreudigen Psychedelic-Combo zu einer eigenwilligen Formation, die eine Musik ertüftelte, »die wie eine Botschaft aus der Zukunft wirkte« (»Spiegel«), eine »industrielle Volksmusik«, wie die Kraftwerk-Musiker selbst sie einmal nannten. Und wurde so zu einer Band, die den Sound dessen, was Popmusik genannt wird, für immer verändern sollte.

Florian Schneider war der Sohn von Paul Schneider-Esleben, einem Architekten der Nachkriegszeit, der unter anderem den Kölner Flughafen und das erste Parkhaus der Bundesrepublik entwarf. Das Düsseldorf, in dem der Jugendliche, der später Musik studierte und Querflöte in Jazzbands spielte, aufwuchs, »war eine noch von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gezeichnete Stadt. Den Soundtrack dazu boten auch Platten der Musique concrète, die Schneider in der Sammlung seiner Eltern entdeckte.« (»Spiegel«).

Bis er 1968 gemeinsam mit seinem späteren Kraftwerk-Kollegen Hütter eine Improvisations-Rockband ins Leben rief, die er »Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikkonzepte« nannte. Zweifellos ein guter Bandname für eine deutsche Experimentalrockgruppe.

Das betont Hüftsteife und Artifizielle, das Monotone und Unterkühlte, das die Klangingenieure Hütter und Schneider nur wenige Jahre später mit Kraftwerk kultivierten, machte sie als Squareheads kenntlich, die der modernen Konzeptkunst und Pop-Art sehr viel näher standen als der althergebrachten Rockmusik. Steckdosen und Autobahnen waren die Zukunft, nicht Akustikgitarre und Lagerfeuer. »Kraftwerk ist keine Band. Es ist ein Konzept, das wir Menschmaschine nennen« (F. Schneider, 1975).

Der Umstand, dass der neuartige, rein elektronisch erzeugte Groove klang wie in der Fabrikhalle hergestellt und seine akkurat gescheitelten, sich emotionsfrei gebenden Produzenten auf den Albencovern und bei öffentlichen Auftritten obendrein gekleidet waren wie Buchhalter oder leitende Angestellte, also »Plastic People« darstellten, vervollkommnete Image und Stil von Kraftwerk. Mit ihrer aus Synthesizern kommenden Präzisions- und Maschinenmusik für Kunsthochschulstudenten, erzeugt in einem Studio, das ernsthaft den Namen »Kling-Klang-Studio« trug, hatte die Band nicht allein maßgeblichen Einfluss auf den nur wenige Jahre später die Populärmusik prägenden Disco-, Synthiepop- und New-Wave-Sound, sondern war auch Pionier der ab Mitte der 80er in Detroit und Chicago entstehenden House- und Technomusik, die wiederum in den 90ern bestimmend war.

2008 verließ Schneider die Gruppe ohne Angabe von Gründen. Auf eine Existenz als öffentliche Person legte er keinen großen Wert. Auch Interviews gab er so gut wie nie. Nur 2015 trat er mit dem Anti-Umweltverschmutzungs-Stück »Stop Plastic Pollution« noch ein einziges mal musikalisch in Erscheinung.

In ihrer heutigen Variante hat die Band Kraftwerk nur noch bedingt mit der eigentlichen Band dieses Namens zu tun, deren wesentliches Werk in den Zeitraum zwischen 1974 und 1991 fällt. Schon seit mindestens 20 Jahren ist sie hauptsächlich als Simulation von Kraftwerk bzw. als »Marke« Kraftwerk existent: Neue Alben erscheinen längst nicht mehr. Von der klassischen Kraftwerk-Besetzung der 70er bis 90er Jahre ist nur Ralf Hütter übrig, der in extrem konservativer Weise das musikalische Erbe verwaltet und gemeinsam mit drei angeheuerten Audio- und Video-Operators bis heute den Eindruck zu erwecken versucht, die Popband gebe es noch. Bereits am 30. April ist Florian Schneider infolge einer Krebserkrankung im Alter von 73 Jahren gestorben. Erfahren hat man davon erst vor drei Tagen.

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