nd-aktuell.de / 14.05.2020 / Kultur / Seite 14

Beachtung der Ablachetikette

Kampfstern Corona (Teil 16): Ein neues Sicherheits- und Hygienekonzept für Autorenlesungen

Fritz Tietz

Seit mehr als acht Wochen darf Fritz Tietz wegen der Corona-Pandemie keine öffentlichen Lesungen mehr abhalten. Jetzt hat der 61-jährige Autor ein Sicherheits- und Hygienekonzept erstellt, mit dem er hofft, seinen Lesebetrieb bald wieder aufnehmen zu können. »Vorausgesetzt natürlich, es finden sich ein paar Zuschauer - was allerdings schon vor Corona ein gewisses Problem war«, räumt der auch sonst wenig beachtete Verfasser halbgarer Satiren und alberner Schmonzetten kleinlaut ein. »Tatsächlich bin ich schon seit Jahren nicht mehr zu Lesungen eingeladen worden - ich vermute mal, wegen des fehlenden Publikumsinteresses und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken für die Veranstalter«, so Tietz.

Für einen Autor, der ja, um öffentlich überhaupt wahrgenommen zu werden, auf eine gewisse Öffentlichkeit angewiesen ist, gleicht diese Bilanz natürlich einem Desaster. Diese dürfte ihm aber in diesen Coronazeiten ausnahmsweise mal zum Vorteil gereichen, denn, so hofft Tietz: »Ohne Zuschauer dürften die hygienischen und sicherheitstechnischen Vorkehrungen erheblich einfacher umzusetzen sein als bei den viel publikumsträchtigeren Lesungen von so erfolgsverwöhnten Kollegen wie Leo Fischer zum Beispiel mit seinen Zigtausend Facebook-Jüngern. Oder Sibylle Berg mit ihrer mitgliederstarken Insta-Gemeinde. Von den Fernsehfritzen wie Strunk, Wischmeyer oder dieser, na, Dingens, ich komm gerade nicht drauf, ganz zu schweigen.«

Sein Hygienekonzept fuße auf der durch frühere (und bestürzend abträgliche) Honorarzahlungen leicht zu stützenden Annahme, dass, »wenn überhaupt, nur sehr wenige Menschen den Weg zu meinen Lesungen finden - diese dann aber, wie das schon früher, bei meinen bisherigen Auftritten, immer sehr zuverlässig zu beobachten war, sowieso und freiwillig einen mehr als ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen sich lassen im Zuschauerraum, während ich selbst weitab vom virenstreuenden Publikum vorne auf der Bühne sitze, und so also auch von mir aus keine Ansteckungsgefahr ausgeht«.

Da zudem ja auch noch eine allgemeine Atemmaskenpflicht bestehe, könnten behördlicherseits eigentlich keine Einwände mehr gegen die Durchführung von Lesungen aufrechterhalten werden - sofern er, Tietz, der Lesende ist, versteht sich. »Sollen sich doch die Erfolgsnasen ihre Hygienemodelle selbst erarbeiten«, mault er.

Als weitere Eckpunkte seines ganz persönlichen Hygienekonzepts nennt er dann noch: die Aufklärung der Zuschauer über das Einhalten der Basishygienemaßnahmen, also Händedesinfektion nach jedem Applaus, Beachtung der Ablachetikette bei insbesondere prustendem oder wieherndem Gelächter (»bitte nur in die Achselhöhle oder den Ellenbogen«) sowie bei Zwischen-, Schmäh- oder Buhrufen (»möglichst mit vorgeschnallter FFP2-Maske«).

Des Weiteren sieht Tietz’ Konzept vor, dass die Aufenthaltsdauer »von aufdringlichen Ranwanzern und Dummschwätzern im Backstage-Bereich« auf null reduziert wird, die »von übergriffigen Verehrern« auf das allernotwendigste Minimum von drei bis vier Minuten (»pro Verehrer«). Fraglich allerdings, wann und wo ein Minderleister wie Tietz jemals derartige Backstage-Erfahrungen gemacht haben will. Genauso rätselhaft, woher ausgerechnet er so genau über angeblich »typische Lesungsrituale wie das gemeinsame Vorglühen mit Beleuchtern und Tonings« Bescheid wissen will oder über »das beim Betreten der Bühne übliche Schmeißen von Geldmünzen, um die Zuschauer symbolisch gnädig zu stimmen«. Wie auch immer: Beides könne von ihm aus während der Coronazeit entfallen, gibt sich Tietz bescheiden. Zwingend dagegen sehe sein Konzept vor, dass nach Lesungen aus hygienischen Gründen keine Romane handsigniert werden, erst recht keine selbst geschriebenen, was aber in seinem Fall eh entfällt.

Tietz’ Ehefrau Marlene würde den baldigen Start des Lesebetriebs sehr begrüßen. »Brächte finanziell natürlich gar nichts - eher im Gegenteil. Aber so wäre der Nervsack endlich mal wieder aus dem Haus.« Es sei bereits einige Male zu sehr unschönen Szenen häuslichen Geschreis gekommen, weil Tietz ihr ständig »unbedingt« was vorlesen müsse, während sie, wegen Corona zum Homeoffice verurteilt, einfach nur das Geld verdienen wolle, was ihr Mann mit vollen Händen wieder ausgebe: für einen Eintrag ins »Who’s Who der Weltliteratur« zum Beispiel, den sich Tietz neulich von einem russischen Verlag mit Sitz in Kinshasa aufschwatzen ließ ( für »nur« 499 Dollar).

Fritz Tietz indes ist davon überzeugt, dass sein Hygienekonzept ohne Abstriche (sic!) abgenickt wird. »Jetzt sind die Veranstalter gefragt!«, gibt sich Tietz zuversichtlich. Aber man merkt ihm auch eine gewisse Unsicherheit an, wenn ihm etwa auf die Frage, was er denn eigentlich öffentlich lesen wolle, erst mal nichts einfällt - und nach längerem Nachdenken (oder dem, was er dafür hält) nur das: »Vielleicht diesen Text hier?«

Offenlegung: Der in dem Text erwähnte Autor Fritz Tietz ist mit dem Autor dieses Textes identisch.