nd-aktuell.de / 18.05.2020 / Politik / Seite 2

Linke-Führung streckt die Hand aus

Bernd Riexinger und Katja Kipping werben für eine Zusammenarbeit der Mitte-links-Parteien

Aert van Riel

Bei öffentlichen Parteiveranstaltungen erinnert Olaf Scholz gerne an seine Zeit bei den Jusos. Dann spricht der kühle Hanseat von der Lockenpracht, die einst seinen Kopf zierte, und davon, dass er damals zu den Linken in der SPD zählte. Inzwischen ist das Haupt des Sozialdemokraten weitgehend kahl und Scholz ein kühl rechnender Machtpolitiker geworden.

Als Finanzressortchef und Vizekanzler ist er der wichtigste SPD-Minister im schwarz-roten Kabinett. Wie seine sozialdemokratischen Kollegen macht er einen braven Job. Die Koalitionspartner von der Union haben in der Regel keinen Grund zur Klage. Doch Scholz denkt auch an die Zeit nach der Großen Koalition. Viele prominente SPD-Politiker, darunter einige Ministerpräsidenten, sehen ihn trotz seiner Niederlage beim Wettbewerb um den Parteivorsitz als möglichen Kanzlerkandidaten.

In dieser Rolle muss man auch die Parteilinken für sich gewinnen. Und Scholz, der einst selbst dazugehörte, weiß, wie der Flügel tickt. Er stellte kürzlich höhere Steuern für Spitzenverdiener in Aussicht, die im nächsten SPD-Wahlprogramm gefordert werden sollten. Der Finanzminister betrieb damit aber nicht nur Eigenwerbung, sondern ihn dürfte auch die Frage umtreiben, wie der Staat nach den Ausgaben in der Coronakrise wieder an Geld kommt.

In der SPD sind nach der Wahl der neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie von Fraktionschef Rolf Mützenich eher linke Sozialdemokraten an wichtigen Schalthebeln. Dieser Fakt und die jüngsten Äußerungen von Scholz zur Umverteilung könnten die Debatten über eine mögliche rot-rot-grüne Zusammenarbeit befeuern.

Zumal sich wichtige Linke-Politiker in einem Strategiepapier, über das am Wochenende im Vorstand diskutiert wurde, für eine Kooperation der Mitte-links-Parteien aussprechen. Darin heißt es, die Linke könne gewinnen, wenn sie die Maßstäbe für die Regierungsfrage inhaltlich setze und realistische Vorschläge eines radikalen Umsteuerns mache. Die Partei dürfe »dabei weder Scheu vor der Verantwortung noch vor dem Risiko des Scheiterns zeigen«.

Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler sieht in dem Papier einen »Impuls für die weitere Diskussion«, wie er dem »nd« mitteilte. Der Vorstand habe es kontrovers diskutiert, merkte er an. So ging es um die Frage, welches Gewicht man einem solchen Bündnis beimesse - auch gemessen an den programmatischen Forderungen der eigenen Partei - und an welche Bedingungen man eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen knüpfen solle.

Die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger, Schatzmeister Harald Wolf sowie Schindler verweisen in dem Papier auf Regierungsbeteiligungen der Linkspartei in Berlin und Bremen sowie in Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt. Es ist zu erwarten, dass die Linkspartei im Wahljahr 2021 ihre Erfolge in der Landespolitik herausstellen wird, zum Beispiel den Berliner Mietendeckel. Im Herbst des kommenden Jahres stehen die Abgeordnetenhauswahl in der Hauptstadt als auch die Bundestagswahl an. Gewählt wird auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo nach aktuellen Umfragen ebenfalls eine rot-rot-grüne Koalition möglich ist. Und auch in Sachsen-Anhalt kann man sich im Juni bei Stimmenzugewinnen Chancen auf ein Mitte-links-Bündnis ausrechnen.

»Es macht einen sozialen und demokratischen Unterschied, wenn fortschrittliche Parteien gemeinsam regieren«, heißt es im Papier der Vorstandsmitglieder. Sie verweisen auf das Berliner Programm für Kunstschaffende und den Schutzschirm für Wohnungslose. Mit der Bundesregierung sind die Autoren nicht vollkommen unzufrieden. Denn diese »musste Forderungen der Linkspartei wie Mieterschutz, Erhöhung des Kurzarbeitergeldes und Zulagen in der Pflege teilweise übernehmen«.

Die Autoren erheben weitere Forderungen, erwähnen in einer Passage zur Asylpolitik aber nicht die »offenen Grenzen für Menschen in Not« aus dem Parteiprogramm. Stattdessen wollen sie, dass die Geflüchteten, die unter unmenschlichen Bedingungen in griechischen Lagern ausharren, auf die EU-Staaten verteilt werden. Als »humanitäre Sofortmaßnahme« sollten 10 000 Asylbewerber aufgenommen werden.

Im Zentrum des Papiers steht ein linker Green New Deal. Dieser sollte sich durch mehr staatliche Investitionen in die soziale Infrastruktur und den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft sowie die Umverteilung von Einkommen und Vermögen auszeichnen. Das Konzept für einen »sozial-ökologischen« Umbau sei »ein politisches Angebot an Gewerkschaften, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und natürlich auch an SPD und Grüne«.

Zudem versprechen die Linke-Politiker, ihre Kämpfe für den linken Green New Deal mit dem Einstieg in einen demokratischen Sozialismus zu verbinden. Ob das diejenigen in der Linkspartei zufriedenstellt, die sich etwas mehr Utopie wünschen, wird sich zeigen.

In einem rot-rot-grünen Bündnis wären Konflikte in der Außenpolitik programmiert. Die Autoren des Linke-Strategiepapiers versprechen, sich »für ein Ende der Sanktionspolitik gegen Russland einzusetzen«. Damit hätten sie so manche Sozialdemokraten auf ihrer Seite. Bei den Grünen herrscht hingegen zumeist ein sehr rauer Ton, wenn über die russische Regierung und Präsident Wladimir Putin gesprochen wird.

Auffällig ist, dass sich die Autoren des Linke-Papiers nicht grundsätzlich gegen Auslandsmissionen der Bundeswehr und Rüstungsexporte aussprechen. Sie wollen, dass die Kriegseinsätze des deutschen Militärs und die »unheilvollen Waffenexporte in die Krisengebiete dieser Welt« beendet sowie die US-Atombomben aus Deutschland abgezogen werden.

Als Unsicherheitsfaktor bewerten sie die Grünen. Wenn sich diese auf die Union zubewegen sollten, sei es Aufgabe der Linken, »eine soziale Alternative stark zu machen«. Denn in einem schwarz-grünen Bündnis sei kein fortschrittlicher Umbau des Sozialstaates zu erwarten. Welche umverteilungspolitischen Vorstellungen die Grünen haben, ist noch unklar. Sie diskutieren derzeit intern über höhere Abgaben für Vermögende.