nd-aktuell.de / 19.05.2020 / Kultur / Seite 13

Der weiße Mann mit der Kamera

Noch bis zum 24.Mai findet das Dokumentarfilmfest München online statt: Der Film »Was tun« macht die Zwangsprostitution von Kindern zum Thema

Nicolai Hagedorn

Vor einigen Jahren hat der deutsche Schauspieler Michael Kranz (der kleinere Rollen in »Das weiße Band«, »Inglourious Basterds«, »Bridge Of Spies« hatte ) das »Bondhu«-Projekt gegründet, das in Faridpur, rund vier Autostunden von Bangladeshs Hauptstadt Dhakar entfernt, für die Verdammtesten der Verdammten dieser Erde kämpft. »Wir bieten im Augenblick 21 Kindern von Zwangsprostituierten eine sichere Unterkunft, eine Rund-Um-Die-Uhr-Betreuung, drei Mahlzeiten am Tag, Kleidung und Nachhilfeunterricht. Bevor sie in unserem Programm waren, ging keines der Kinder in die Schule. Nun gehen 17 von ihnen in eine reguläre staatliche Schule, 4 machen eine Ausbildung. Darüber hinaus haben wir ein Ausbildungsprogramm für bis zu 30 aus der Zwangsprostitution gerettete Mädchen, die bei uns Stick- und Nähunterricht bekommen und so eine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben«, schreibt Kranz auf der Homepage der kleinen NGO. Wie es zu seinem Engagement kam, darüber hat er den Dokumentarfilm »Was tun« gedreht, der im Rahmen des Münchner DOK-Festes zurzeit online zu sehen ist und der als Abschlussfilm des Festivals vorgesehen war.

Angebliche journalistische Standards wie Unparteilichkeit und Distanz wirft Kranz bereits mit der Einstiegsszene über Bord. Auslöser für seine Reise in das Land, das die meisten Landsleute nur von den Etiketten in ihren H&M-Hoodies kennen dürften, ist ein anderer Dokumentarfilm, den er gesehen hat und in dem ein zwangsprostituiertes 15-jähriges Mädchen plötzlich selbst anfängt, Fragen zu stellen. Sie möchte wissen, warum die Frauen so »unglückliche Wesen« seien, »mit so viel Leid« leben müssten, und ob es »keinen anderen Weg für uns Frauen« gebe.

Das Mädchen und seine Hoffnung auf eine andere Lebensperspektive als die, »mehrmals am Tag vergewaltigt zu werden«, beschäftigen Kranz. Zwei Jahre später macht er sich auf den Weg und fliegt nach Bangladesh, um das Mädchen aus dem Film zu suchen. Was folgt, ist ein Abenteuer, das sich abspielt zwischen kaum erträglicher Armut und unverhohlener Ausbeutung. Bald wird klar, dass die Prostituierung minderjähriger Mädchen in Faridpur so selbstverständlich ist, dass Kranz auch mit Kamera ohne große Probleme durch das Kinderbordell marschieren kann, in dem er die Gesuchte vermutet. Auch einen der Menschenhändler, die für Nachschub sorgen, kann er interviewen. Der Mann erklärt freimütig, wie er die Mädchen sucht und findet, wie er sie verschleppt, foltert und in die Prostitution verkauft. Die Polizei ist bei alledem wie so oft eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

Es gibt viel Verzweiflung in der Dokumentation »Was tun«. Aber es wird auch viel reflektiert und nachgedacht - und geholfen. Dass Kranz die Angelegenheit von vornherein zu einer persönlichen macht, ist für den Film die richtige Strategie. Weil es eine Ich-Erzählperspektive gibt und das Geschehen eng an den angenehm zurückhaltenden Filmemacher gebunden ist, lassen sich Brüche ebenso wie der Optimismus der kleineren Kinder vor Ort nachvollziehen. Letztere haben sich mit den Zuständen längst arrangiert und bespielen das Bordell, in dem ihre Mütter leben und arbeiten, wie der Nachwuchs hierzulande den pädagogisch durchdachten Stadtparkspielplatz. Besonders ein kleiner Junge wächst Kranz bald ans Herz. Es sind persönlichen Begegnungen, die den Filmemacher motivieren, einzugreifen und, gemeinsam mit einem unerschrockenen Ehepaar vor Ort, einige der minderjährigen Frauen und Kinder zu retten.

Bei alledem ist es ihm offenbar besonders wichtig, klar zu machen, dass er sich seiner fragwürdigen Position durchaus bewusst ist. Mehrfach verweist er darauf, dass ihm die Rolle des weißen Mannes mit der Kamera, der ansonsten verschlossene Türen öffnen kann, nicht recht behagt und auch unangenehme, allerdings kaum zu beantwortende Fragen aufwirft. So liegen über den gezeigten Begegnungen, dem losen Plot der Suche nach den Mädchen und der Gründung eines Kinderheims - gewissermaßen als Rahmen des Gezeigten - Reflexionen darüber, inwiefern persönlich motiviertes Engagement privilegierter Erstweltler problematisch, aber angesichts der Zustände doch nötig und hilfreich ist.

Indem der weiße Mann seine Privilegien reflektiert, verschwinden sie jedenfalls nicht. So nachvollziehbar die von Kranz selbst geäußerten Zweifel sind, ob es richtig sein kann, einem Mädchen deshalb helfen zu wollen, weil man es in einem Film gesehen hat, und so sehr der in »Was tun« geäußerten Annahme, an »dem System« könne man ohnehin nichts ändern, zu widersprechen ist (auch das ist eben nur möglich, wenn sich viele daran machen) - während der aufwühlenden 71 Minuten möchte man dem Mann und seinen Helfern eigentlich nur zurufen: »Macht weiter, holt so viele raus wie möglich!«

»Was tun«, Deutschland 2020. Dokumentarfilm. Regie: Michael Kranz. 71 Min.

www.dokfest-muenchen.de/[1] films/view/21917

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