Warum ein Showdown in der AfD wahrscheinlicher wird

Parteichef Meuthen sucht die Entscheidung im Machtkampf mit den völkischen Nationalisten

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Jörg Meuthen wusste, was ihm drohen würde. Als der Co-Parteivorsitzende vergangenen Freitag den Parteiausschluss von Andreas Kalbitz im Bundesvorstand mit knapper Mehrheit durchdrückte, ließen die wütenden Reaktionen seiner innerparteilichen Gegner nicht lange auf sich warten. Parteivize Stephan Brandner forderte noch am gleichen Abend einen Bundesparteitag, auf dem sich jedes Vorstandsmitglied zu den Gründen für seine Entscheidung erklären müsse.

Der Forderung schlossen sich innerhalb weniger Tage zahlreiche Kalbitz-Unterstützer an. Am Montag nahm die Brandenburger AfD-Landtagsfraktion ihren bisherigen Vorsitzenden nicht nur wieder als Mitglied in ihren Reihen auf, sondern sprach sich für einen Sonderparteitag zur Ab- und Neuwahl des Bundesvorstandes aus. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bezeichnete den Rauswurf von Kalbitz als »Verrat an der Partei«. Ähnliche Stimmen waren vor allem aus Sachsen und Sachsen-Anhalt zu hören, den Hochburgen des formal Ende April aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel«. »Wir stehen hinter Andreas Kalbitz«, erklärten beispielsweise der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban und Generalsekretär Jan Zwerg.

Meuthen ging daraufhin erneut in die Offensive. Am Mittwoch erschien ein Interview des Co-Parteichefs im Magazin »Cicero«. Zur Klärung des Machtkampfes könne er sich einen Sonderparteitag vorstellen. »Ich weiß die Mehrheit der Partei hinter meinem Kurs. Vielleicht ist ein Sonderparteitag dahingehend sogar eine ganz gute Idee zur Klärung der Mehrheitsverhältnisse.«

Die Chancen auf einen Showdown wachsen damit deutlich. Die AfD muss dieses Jahr ohnehin noch einen regulären Bundesparteitag abhalten, nachdem das geplante Parteitreffen Ende April in Offenburg aufgrund der Coronakrise ausfiel. Wo, wann und in welcher Form ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht absehbar.

Zweidrittelmehrheit für Abwahl notwendig

Formal ist eine vorzeitige Abwahl einzelner Mitglieder oder des kompletten Vorstandes auf jedem Parteitag möglich. Die Hürde dafür ist allerdings hoch. Laut AfD-Bundessatzung ist dafür eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Das Lager um Kalbitz muss sich also genau überlegen, ob es die entsprechende Anzahl an Delegiertenstimmen zusammenbekommt.

Spätestens an dieser Stelle wird die Frage nach den realen Mehrheitsverhältnissen in der Partei relevant. Das ist aus mehrfachen Gründen jedoch kompliziert zu bestimmen.

Die völkischen Nationalisten sind in der Öffentlichkeit oft besonders laut, ihre tatsächliche Anhängerschaft lässt sich aber nur schwer beziffern. Mitgliederlisten gibt es keine, der »Flügel« funktioniert innerhalb der AfD mehr wie ein Netzwerk, weshalb seine formale Auflösung auch nicht wirklich etwas an den Strukturen ändert und die beiden führenden Köpfe Höcke und Kalbitz darin auch nicht wirklich ein Problem sahen.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz zählt der als rechtsextrem eingestufte »Flügel« etwa 7000 Anhänger, was in etwa jedes fünfte AfD-Mitglied wäre. Die Zahlen beruhen allerdings vor allem auf AfD-Angaben, Schätzungen in dieser Größenordnung gab es in der Vergangenheit auch von Parteichef Meuthen. In den ostdeutschen Bundesländern sollen sich sogar 40 Prozent dem »Flügel« zugehörig fühlen, was allerdings dadurch weniger ins Gewicht fällt, weil die Partei im Osten vergleichsweise mitgliederschwach ist. Zum Vergleich: Im »Flügel«-dominierten Thüringen zählt die Partei etwa 1000 Mitglieder, in Sachsen 1600, wohingegen es in Nordrhein-Westfalen und Bayern jeweils mehr als 5000 sind. Auch im Landesverband Brandenburg, der mehrheitlich stramm hinter Kalbitz steht, kommt die AfD auf nur etwa 1300 Mitglieder.

Handelt es sich bei den völkischen Nationalisten deshalb nur um Scheinriesen? So einfach ist die Angelegenheit nicht.

Keine wirkliche Konkurrenz zum »Flügel«

Erfolgreiche innerparteiliche Gegenprojekt zum »Flügel« gibt es nicht. Die 2017 gegründete »Alternative Mitte« brachte es nie zu einem tatsächlichen relevanten Einfluss. Die Stärke der völkischen Nationalisten mit ihrem Machtzentrum Höcke und Kalbitz ist auch das Ergebnis der Schwäche aller anderen Kräfte in der Partei. Weil diese unfähig zur Organisation scheinen, kann der durchorganisierte »Flügel« seine zahlenmäßige Unterlegenheit bei wichtigen Entscheidungen auf Parteitagen oft in eine Mehrheit umwandeln.

Beispiele dafür gab es in der Vergangenheit zahlreiche. Der bekannteste Beleg für den Einfluss des »Flügel« war der Bundesparteitag 2017 Hannover. Mit Georg Pazderski strebte ein ausgewiesener Kritiker der Völkischen den Posten als Co-Parteichef an, scheiterte aber an der überraschenden Gegenkandidatur von Doris von Sayn-Wittgenstein, die vom Höcke-Lager unterstützt wurde. Weil beide Kandidaten keine Mehrheit hinter sich vereinigen konnten, wurde als Konsenskandidat schließlich Alexander Gauland gewählt.

Ein ähnlicher Vorgang wiederholte sich vergangenes Jahre auf dem Bundesparteitag in Braunschweig. Kurz vor dem Delegiertentreffen hatte sich Pazderski erneut mit einer Erklärung gegen »Flügel«-Frontmann Höcke gewandt und bekam dafür die Quittung. Er scheiterte mit seiner Wiederwahl zum Parteivize, das gleiche Schicksal ereilte Albrecht Glaser und Kay Gottschalk. Auch sie verloren ihre Posten. Als Beisitzer im Parteivorstand wiedergewählt wurde dagegen Kalbitz, obwohl seine jahrelangen Verstrickungen in der rechtsextremen Szene da längst öffentlich waren.

Was die »Flügel«-Gegner immer wieder unterschätzen. Die Völkischen mögen keine garantierte Mehrheit auf Parteitagen hinter sich haben, sind aber geübt darin, unter unentschlossenen Delegierten für Stimmung zu sorgen, mit Brandreden Emotionen und damit letztendlich auch Entscheidungen zu beeinflussen. Meuthen, der nun offensiv den Rauswurf von Kalbitz verteidigen muss, um nicht selbst entmachtet zu werden, gilt dagegen nicht gerade als brillanter Redner.

Machtkampf und keine formale Entscheidung

Hinzukommt: Einflussreiche AfD-Spitzenfunktionäre kritisieren den Rauswurf und damit Meuthen massiv. Die Kalbitz-Unterstützer sind nicht nur unter den eindeutigen »Flügel«-Anhängern zu finden. Parteivizin Alice Weidel, eigentlich wie Meuthen Anhängerin der marktradikalen Kräfte, paktiert schon länger mit den völkischen Nationalisten. Auch Alexander Gauland, Fraktionschef der AfD-Bundestagsfraktion, ist mit dem Beschluss ebenso nicht einverstanden wie Co-Parteichef Tino Chrupalla, der offiziell nicht zum »Flügel« gehört, von diesem aber unterstützt wird. Meuthen hatte vergangenen Freitag im Bundesvorstand zwar eine knappe Mehrheit hinter sich, bis auf Beatrix von Storch befinden sich darunter allerdings keine politischen Schwergewichte.

Meuthens größtes Problem ist jedoch: Seine Strategie im Machtkampf gegen die völkischen Nationalisten ist wacklig. Noch in der vergangenen Woche hatte er bestritten, der Antrag auf Annullierung von Kalbitz Parteimitgliedschaft sei politisch motiviert gewesen. In der Diskussion des Parteivorstandes sei es nur um die rechtliche Frage gegangen, ob Kalbitz in seinem Parteiaufnahmeantrag wichtige Informationen verheimlicht habe.

Ganz anders klang die Angelegenheit am Montag dann in einem Interview mit dem ZDF-»heute journal«. Kalbitz habe seine Mitgliedschaft in der AfD verloren, weil er eine »verfestigt rechtsextreme Vorgeschichte« habe, so Meuthen. »Das hat er verschwiegen, das können wir nicht hinnehmen.« Meuthen ging sogar noch weiter und forderte: »Wir müssen unsere Partei frei von rechtsextremen Bezügen halten, da gibt es kein Pardon.«

Solch eine politisch motivierte Argumentation könnte für den AfD-Vorsitzenden allerdings zum Problem werden. Zu einem Gründungsmythos der Partei gehört es, die innerparteiliche Meinungsfreiheit am rechten Rand des politischen Spektrums besonders weit auszulegen. Wer dies kritisiert, wird schnell des Verrats an den Idealen der Partei bezichtigt. Auch hat der »Flügel« seine frühere Strategie angepasst und setzt nicht mehr allein darauf, sich als rechte »Straßen-Apo« zu inszenieren. Der Thüringer Landesverband nutzt seit dem Landtagswahlkampf 2019 regelmäßig den Zusatz »Die bürgerliche Kraft«, Höcke ergänzt dies meist um den Zusatz »patriotisch«.

Außerhalb der AfD mag dieser Etikettenschwindel schnell entlarvt sein, nach innen wirkt diese Selbstbezeichnung aber weiter immunisierend. Als »bürgerlich« versteht sich schließlich jeder in der Partei, selbst wenn es sich dabei um harte Rechtsextreme handelt. Was allerdings weit weniger geduldet wird, ist angeblicher Verrat am Selbstverständnis der Partei. Daran könnte Parteichef Meuthen am Ende scheitern.

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