Nackt vor den Hauseigentümern

Bewohner der Cottbuser Karlstraße 29 müssen um den Bestand ihrer Gemeinschaft fürchten

Ines Krause und Samuel Paripovic stehen im Garten des Hauses Karlstraße 29 in Cottbus. Sie zeigen die Kartoffeln, den Salat, die Brombeeren, sie zeigen den Geräteschuppen, den die Hausbewohner Hexenhäuschen nennen. Dort nisten Rotkehlchen, berichtet Paripovic. Der 24-Jährige studiert an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus im zweiten Semester Architektur. Ines Krause ist 35 Jahre alt, studiert aber auch noch, da sie erst im zweiten Bildungsweg Abitur gemacht hat. Ihren Bachelorabschluss von der BTU - in Sozialer Arbeit - hat sie inzwischen bereits in der Tasche. Nun sattelt sie den Master Biografisches und kreatives Schreiben an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule obendrauf.

Krause hat Freude an der Gartenarbeit. Das ist nicht Bedingung, aber doch hilfreich, wenn man hier einziehen möchte. Rassismus wird beispielsweise nicht geduldet. 13 Studierende und Auszubildende wohnen in dem dreistöckigen Altbau, dazu ein Hund und eine Katze. Von den jungen Leuten sind einige vielfältig gesellschaftlich aktiv. Dazu gehört Brandenburgs jüngste Landtagsabgeordnete Ricarda Budke (Grüne), die an der BTU studiert und in der Karlstraße 29 wohnt. Aber gesellschaftliches Engagement ist nicht vorgeschrieben, um in die Wohngemeinschaft aufgenommen zu werden. Mit dem Begriff Wohngemeinschaft ist das Zusammenleben übrigens treffend, aber noch nicht ausreichend beschrieben. Die K29 ist mehr. Sie ist etwas Besonderes.

Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Die Lebensmittel werden aus einem Topf finanziert, in den alle einzahlen. Dafür darf sich dann jeder an den Vorräten bedienen. Es gibt eine kleine Fahrradwerkstatt, in die manchmal auch Nachbarn kommen, um ihre Drahtesel zu reparieren. Es gibt ein Wohnzimmer mit Sofas, in dem ein von Hella Stoletzky gemalter Akt an der Wand hängt. Die Künstlerin hat dieses Bild 2018 gemalt und der Hausgemeinschaft geschenkt. Vier Bewohner, zwei Frauen und zwei Männer, haben ihr dafür nackt im Garten Modell gestanden, genauer gesagt haben sie dort im Gras gelegen. Die Darstellung ist aber so verfremdet, dass niemand erkennen kann, wer die vier gewesen sind.

Die Bewohner verstehen sich gut. Paripovic möchte sich nicht vorstellen, als Student anderswo und auf andere Weise leben zu müssen. Höchstens übergangsweise würde er vielleicht in ein Studentenwohnheim ziehen und versuchen, so schnell wie möglich wieder mit seinen Freunden aus der Karlstraße 29 zusammenzukommen. Warum er darüber nachsinnt? Das Wohnprojekt steht auf der Kippe. Im vergangenen Jahr wurde das Haus verkauft. Einer der neuen Eigentümer soll bei einer Besichtigung gesagt haben, er werde das Objekt modernisieren, wodurch sich die Kaltmiete verdoppeln werde. Die Studenten dürften bleiben, wenn sie sich das dann noch leisten könnten.

Die meisten von ihnen könnten das nicht. 214 Euro zahlen sie im Moment für ein Zimmer. Da sind die Betriebskosten mit drin, das Heinzmaterial für die Kachelöfen, der Internetanschluss und sogar das Abonnement einiger Zeitungen. Es besteht die Möglichkeit einer solidarischen Mietpatenschaft. Wenn sich ein Bewohner die vollen 214 Euro mal nicht leisten kann, zahlt ein anderer Bewohner mehr, um die Differenz auszugleichen.

Aber auch das hilft jetzt vielleicht nicht mehr weiter. Denn die neuen Eigentümer haben dem K29-Verein gekündigt. Die Sache liegt bei Gericht und soll am 19. Juni verhandelt werden. Der Streit drehe sich unter anderem darum, so berichten Krause und Paripovic, ob der Verein wirklich nur einen Gewerbemietvertrag habe, wie die neuen Eigentümer es darstellen. Der ließe sich leicht kündigen. Die Eigentümer wollen sich mit Verweis auf das laufenden Verfahren gegenüber »nd« nicht zu der Angelegenheit äußern.

Phasenweise hing ein Transparent »K29 bleibt« an der Fassade. Die Eigentümer wollten dies nicht dulden, heißt es. So befestigte es der Pfarrer aus Solidarität an seinem Pfarrhaus auf der anderen Straßenseite. Dort hing das Stofftransparent eine Weile und blich aus. Der Pfarrer gab es mit der freundlichen Bemerkung zurück, er wolle ein frisches. Nun liegt das alte in der Fahrradwerkstatt. Vielleicht wird es noch einmal gebraucht.

Samuel Paripovic hofft, dass die Justiz zugunsten des Vereins entscheidet. Aber selbst dann wäre das Wohnprojekt nicht dauerhaft gerettet. Die Eigentümer könnten den Verein immer noch über Modernisierung und Mieterhöhung hinausdrängen. Das wäre schade, nicht nur für die 13 Bewohner, sondern auch für ihre Nachbarn. Schließlich organisiert der K29-Verein das jährliche Karlstraßenfest maßgeblich mit. Der Stadt Cottbus würde etwas fehlen. Das haben die 13 jungen Leute quasi schriftlich. Denn die Stadtverordneten hatten im Vorfeld des Hausverkaufs beschlossen, das wertvolle Projekt zu unterstützen. Die frühere Landtagsabgeordnete Kerstin Kircheis (SPD) und die Linksfraktion hatten sich dafür eingesetzt. Ein Aus für das Projekt wäre bedauerlich, bestätigt der Linke-Kreisvorsitzende Matthias Loehr.

Der Verein hatte Wind von dem geplanten Verkauf des Objekts bekommen, weil plötzlich verschiedene Interessenten zur Besichtigung vor der Tür standen. Man schlug dem alten Eigentümer noch vor, selbst zu kaufen, wollte dies mit Hilfe des Mietshäusersyndikats stemmen, das Hauskäufe fördert. Doch es sei nicht einmal so weit gekommen, ein Gebot abzugeben, beklagt Ines Krause.

Man hätte sich vor 20 Jahren ein Vorkaufsrecht vielleicht sichern können und müssen, glaubt Samuel Paripovic. Doch damals standen in Cottbus viele Quartiere leer. Es wurden sogar Blöcke abgerissen. Niemand ahnte, dass um das Jahr 2016 herum plötzlich eine Trendumkehr erfolgen und von nun an Wohnungsnot herrschen würde. Jetzt wäre es äußerst schwierig, ein Ersatzobjekt zu finden. 1992 hatte der Altbau leer gestanden. Die ersten Studenten waren der kommunalen Gebäudewirtschaft Cottbus eine Hilfe, als sie hier einzogen und das Haus in Eigenleistung instand setzten. Ansprüche von Alteigentümern waren noch nicht geklärt. Später wurde das Objekt verkauft.

Es gebe keine Aufstellung, wie viele Studenten im Laufe von knapp drei Jahrzehnten in der Karlstraße 29 gewohnt haben, sagt Paripovic. Womöglich seien es Hunderte gewesen. Zuweilen klingele ein Absolvent von einst und wolle schauen, was aus dem Projekt geworden ist, in das so viele Menschen so viel Herzblut steckten.

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