nd-aktuell.de / 27.05.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 11

Vom Lohn muss eine vierköpfige Familie leben können

Gisela Burckhardt von der Kampagne für saubere Kleidung fordert von Modefirmen wie Hugo Boss mehr Verantwortung für die Textilarbeiterinnen

Knut Henkel

Der Lockdown hat die Textilindustrie schwer getroffen, die Absätze sind stark eingebrochen. Wie hat sich die Coronakrise auf die Arbeiter*innen in Ländern wie Bangladesch mittlerweile ausgewirkt?
Die Auswirkungen sind schrecklich, denn mit dem Lockdown sitzen die Arbeiter*innen de facto auf der Straße und wissen nicht, wie es weitergeht. Immerhin hat die Regierung in Bangladesch ein Nothilfeprogramm über 500 Millionen US-Dollar aufgelegt, woraus die Unternehmen Kredite erhalten haben. So sollten die Löhne an die Arbeiter*innen ausgezahlt werden können, und das hat halbwegs funktioniert. Es wurden - je nach Quelle - zwischen 50 und 90 Prozent der Arbeiter*innen berücksichtigt. Man darf aber nicht vergessen, dass nicht die vollen Löhne, sondern nur 60 Prozent ausbezahlt wurden. Da die Arbeiter*innen im Alltag auf Überstunden angewiesen sind, reichen diese Zahlungen hinten und vorne nicht.

Die Arbeiter*innen rutschen also in eine existenzielle Krise?
Genau, sie wissen oftmals nicht weiter. Arbeiten zu gehen, ist mit einem Infektionsrisiko verbunden - und nicht zu arbeiten, bedeutet oftmals zu hungern.

Wie verhalten sich inzwischen die großen Auftraggeber, die zunächst ihre Aufträge stornierten?
Es wird an Initiativen gearbeitet, um beispielsweise Lohnfortzahlung zu ermöglichen. Doch da ist noch nichts spruchreif. Wir von Femnet und der Kampagne für saubere Kleidung fordern deshalb, dass die ursprünglich erteilten Aufträge abgenommen und bezahlt werden. Das wäre ein positives Signal.

Das ist aber nicht oft der Fall?
Meinen Quellen zufolge, und ich beziehe mich da auch auf Unternehmer vor Ort, werden weiterhin Aufträge zurückgezogen, storniert und auch verspätet bezahlt. Mein Eindruck ist, dass die europäischen Auftraggeber anders als US-amerikanische nicht so egoistisch auftreten. Allerdings hören wir immer öfter, dass die Verträge neu verhandelt, die Konditionen noch einmal reduziert werden. Da gibt es sehr einfallsreiche Unternehmen, wie uns berichtet wird.

Vor ein paar Jahren haben Sie sich eine Aktie der Hugo Boss AG gekauft, um auf den Hauptversammlungen auf Missstände aufmerksam machen zu können. Wie verhält sich dieser Bekleidungskonzern, der auch in Bangladesch fertigen lässt, in der Corona-Pandemie?
Ich hoffe, dass ich solche Fragen, an diesem Mittwoch auf der Online- Aktionärsversammlung beantwortet bekomme. In den letzten Jahren hat sich das Unternehmen durchaus bewegt: Hugo Boss ist aktives Mitglied im Textilbündnis (des Bundesentwicklungsministeriums, d. Red.) und auch bei der Fair Labour Association (die Initiative will die Arbeitsbedingungen weltweit verbessern, d. Red.); die Mitgliedschaft dort beinhaltet die Verpflichtung, die Lieferkette offenzulegen. Das war noch vor ein paar Jahren eine unserer Forderungen auf der Aktionärsversammlung von Hugo Boss. Heute ist dies Realität - ein kleiner Erfolg.

Sie haben für die diesjährige Hauptversammlung einen Gegenantrag eingebracht mit der Forderung, Bilanzgewinne in einen Fonds zur Finanzierung existenzsichernder Löhne zu leiten.
Aus unserer Sicht muss ein Lohn sich an den Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Familie orientieren und nicht an dem, was Unternehmer und Regierung festlegen. Da hinkt nicht nur Hugo Boss erheblich hinterher. Ich fordere da mehr Verantwortung der Unternehmen ein - sie müssen schlicht mehr bezahlen, damit vor Ort höhere Löhne ausgezahlt werden können.

Wissen Sie, ob Hugo Boss besser zahlt als andere bekannte Modemarken?
Hugo Boss hat rund 200 Lieferanten, Details über Aufträge und Zahlungen liegen uns nicht vor. Es geht mir ohnehin mehr darum, aufzurütteln und auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die Löhne in einem Missverhältnis zu den Endverbraucherpreisen und den Gehältern der Manager stehen. In der Coronakrise sind es die Näher*innen, die am Ende der Kette stehen, die am meisten leiden. Daran muss sich etwas ändern. Es ist eben das falsche Signal, in dieser Situation eine Dividende an die Aktionäre auszuzahlen.