Mit dem Rad zu den Alliierten-Villen

Vor 75 Jahren residierten die Verhandlungsführer der Potsdamer Konferenz in der Villenkolonie Neubabelsberg. Eine Radtour folgt den Spuren von Truman, Stalin und Churchill

  • Oliver Gerhard
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Hausboot fährt Schlangenlinien. Jachten schippern vorbei. Laut schallt die Stimme eines Kanutrainers über das Wasser. Dichte Wälder säumen den drei Kilometer langen Griebnitzsee auf der Berliner Seite; am Potsdamer Ufer schimmern Villen zwischen hohen Bäumen hindurch. Ein Postkartenidyll! Und ein Bild, das bis zum Mauerfall undenkbar schien: Die Villenkolonie Neubabelsberg war Sperrgebiet, der Zugang zum See durch Mauern und Zäune abgeriegelt.

»Die meisten Spuren aus Mauerzeiten sind inzwischen verschwunden, aber die Reste kann ich euch noch zeigen«, sagt Robert Freimark, der Guide einer Radtour durch das Viertel. Sein Markenzeichen ist die Farbe Blau: Mit seinem leuchtend blauen Rad, blauen Satteltaschen, blauem Shirt, blauen Schuhen und blauem Helm wird ihn die Gruppe nicht aus den Augen verlieren.

Es geht durch das »Beverly Hills vom Griebnitzsee«. Unterbrochen von DDR-Zeiten, lebten hier immer die Reichen und Prominenten: Sportler wie Max Schmeling, Filmstars wie Lilian Harvey, Wirtschaftsbosse wie Günther Quandt, Schriftsteller wie Erich Kästner und Politiker wie Konrad Adenauer, der in der Siedlung elf Monate lang die Wirren nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten aussaß.

Die Geschichte der Siedlung begann 1874 mit dem Bau der ersten Sommerhäuser auf dem Gelände einer kaiserlichen Maulbeerplantage. Nicht nur die Natur war damals ein Verkaufsargument: »Wenn man hier als Großindustrieller, Künstler oder Militär lebte, hatte man immer auch Kontakt mit seiner Majestät«, sagt Freimark. Schließlich kam Kaiser Wilhelm in seiner Kutsche durch, wenn er ins Neue Palais oder nach Berlin unterwegs war.

Gemächlich radelt die Gruppe durch die Karl-Marx-Straße, einst Kaiserstraße. Prächtige Villen reihen sich aneinander, mit verschachtelten Dachlandschaften, Gärten und Parks mit Blumenrabatten. Heute sind fast alle historischen Gebäude saniert, ein Prozess von drei Jahrzehnten, denn die Kolonie fiel nach Kriegsende in einen Dornröschenschlaf, als das Sperrgebiet eingerichtet wurde - zunächst für den Sitz des sowjetischen Oberkommandos, später kam die Mauer.

Doch vorher stand das Viertel noch einmal kurz im Licht der Weltöffentlichkeit: als Unterkunft der Verhandlungsführer während der Potsdamer Konferenz. Vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 tagten die Vertreter der drei wichtigsten Siegermächte in Schloss Cecilienhof und besiegelten dabei auch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen. Der einstige Hohenzollernbau bildet den krönenden Abschluss der Radtour von Robert Freimark - eine Führung ist jedoch nur über die Schlösserstiftung buchbar.

Am 23. Juni 2020 eröffnet in Schloss Cecilienhof eine neue multimediale Ausstellung aus Anlass des 75. Jahrestages der Potsdamer Konferenz. Ein lange geplantes Vorhaben: Kuratoren sichteten historische Filme und Fotos, um alle Räume originalgetreu zu rekonstruieren. Nicht alle Stücke konnten aufgefunden werden - die Sowjetunion übergab den Bau erst 1952 mit verändertem Interieur an die DDR.

In der neuen Ausstellung liegt ein wichtiger Fokus auch auf dem Thema Japan - schließlich soll Präsident Harry S. Truman hier in Potsdam den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki beschlossen haben. Aus Japan kamen nun wertvolle Leihgaben, darunter ein von der Hitze verformtes Glasfläschchen, das einem der wenigen Überlebenden der Katastrophe gehörte.

Der US-Präsident residierte damals in einem beschlagnahmten Anwesen in Neubabelsberg: Robert Freimark führt in den Park des Neorenaissancebaus mit Loggia und weitem Blick über den Griebnitzsee: Die Amerikaner nannten es »Little White House«. Bei Truman selbst soll es dagegen Assoziationen an den Bahnhof von Kansas City geweckt haben; er kritisierte die zusammengewürfelte Inneneinrichtung. »Kein Wunder«, sagt der Guide, »Plünderer hatten die originalen Möbel in den See geworfen und die Bibliothek verbrannt.«

Weil die Villa mit ihrem modernen Anbau heute einer Stiftung gehört, ist der Park öffentlich zugänglich - eine Ausnahme inmitten der abgeschotteten Privatgrundstücke. Beim Weiterradeln gleitet eine bunte Mischung der Baustile vorbei: ein Schweizerhaus, eine Backsteinvilla, Townhouses, kleine Schlösschen.

In der Virchowstraße liegt ein Traum in Pastell: Haus Seefried wurde 1915 vom jungen Mies van der Rohe erbaut. Es erinnert jedoch eher an Schloss Sanssouci als an klassische Bauhaus-Architektur. Während der Konferenz der Siegermächte logierten darin Winston Churchill und sein Nachfolger Clement Attlee. Heute ist es der Wohnsitz von Hasso Plattner, dem Mitgründer des Softwarekonzerns SAP.

Zurück in der Karl-Marx-Straße, beschatten hohe Bäume die Villa Herpich, die sich Josef Stalin als Residenz ausgewählt hatte. Robert Freimark erzählt, welche Auswüchse der Verfolgungswahn des Sowjetführers hier annahm: »Aus Angst vor einem Anschlag ließ er alle Zimmer leer räumen und sogar die Holzvertäfelung herausreißen. In seinem Raum stand wohl nur ein einfaches Feldbett.«

Nun ist es nicht mehr weit bis zum Park Babelsberg - Gelegenheit für einen Snack am Seeufer: Auf einer Wiese am Wasser kommt der Picknickkorb zum Einsatz, der zusammen mit der Tour bestellt werden kann. Bei Obst, Käse, Brot und Oliven genießt man den Blick auf Schloss Babelsberg. Zwischen den Bäumen schimmert die Glienicker Brücke durch, unter der seit Kurzem wieder die Ausflugsdampfer hindurchschippern.

»Und jetzt zeige ich noch die letzten Reste der Mauer, wie versprochen«, sagt Robert Freimark und biegt in die Stubenrauchstraße, die einst an der Grenze endete. Eine Reihe von Hainbuchen deutet den Verlauf noch an. Geblieben sind sechs Mauersegmente, das Fundament eines Wachturms sowie Gedenktafeln für drei Maueropfer - einer davon war Grenzsoldat.

Das Sperrgebiet in Neubabelsberg wurde zu DDR-Zeiten streng überwacht, die Potsdamer Filmhochschule durfte hier trotzdem rund ein Dutzend der Villen nutzen. Nach der Wiedervereinigung musste die Uni schließlich nach und nach weichen - für das Revival des »Beverly Hills vom Griebnitzsee«.

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