»Wir haben immer wieder gesagt, dass das keine Einzelfälle sind«

Der schwarze Bürgerrechtler Richard Rose fordert ein systematisches Vorgehen gegen Rassismus in Polizei und Justiz in den Vereinigten Staaten

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist ihre Sicht auf die Ereignisse?

Wir sind einfach nicht ehrlich über die Unterdrückung von People of Color in diesem Land. Im Februar wurde der schwarze Jogger Ahmaud Arbery getötet. Die Schuldigen wurden erst vor knapp vier Wochen festgenommen. Wir haben immer wieder gesagt, das sind keine Einzelfälle, es passiert einfach zu häufig. Wir haben ebenso immer gesagt, irgendwann wird die Wut überkochen, und das ist dieses Wochenende passiert. Martin Luther King hat einmal gesagt, Aufstände passieren nicht einfach so, es gibt immer einen Grund für sie.

Zur Person
Richard Rose ist Präsident der Ortsgruppe Atlanta der schwarzen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP). Die 1909 gegründete Gruppe ist die älteste und größte Bürgerrechtsorganisation in den USA und setzt sich gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte für alle Menschen ein.
Audioreportage von USA-Korrespondent Max Böhnel zu den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus

Proteste gegen rassistische Polizeigewalt gab es ja immer wieder. Was ist dieses Mal anders?

Die Coronavirus-Beschränkungen haben die Leute zu Hause eingepfercht, sie konnten nicht so rausgehen, wie sie es normalerweise tun. Das hat sicherlich eine Rolle gespielt. George Floyd war dann nur der Funken. Aber das Video war einfach so anders, weil es absolut keine Gefühlsregung bei den Polizisten, absolute Gleichgültigkeit zeigt. Vor allem die jungen Leute haben schnell darauf reagiert. Es gab Leute, die die Empörung für Plünderungen und Gewalt ausgenutzt haben, aber die Proteste waren zuerst friedlich. Das war auch so in meinen Tagen als junger Bürgerrechtsaktivist. Eine der letzten Demonstrationen von Martin Luther King in Memphis endete auch deswegen in Gewalt, weil sich weiße Rassisten unter die Marschierenden mischten und randalierten. Das hatten wir auch an diesem Wochenende.

Präsident Donald Trump nutzt Rhetorik aus den 60er Jahren, facht die weiße Angst vor Ausschreitungen und Vorurteile an. Wird das funktionieren?

Ich denke nicht. Die USA wollen dieses Spalterische nicht mehr. Donald Trump klammert sich an die Macht. Er wird das Weiße Haus nicht friedvoll verlassen, denke ich. Ich glaube, er versucht, Amerikas erster König zu sein. Aber die Menschen haben begonnen zu verstehen, wie schlecht seine Rhetorik für das tägliche Zusammenleben ist. Wir müssen ja irgendwie zusammenleben. Wir erkennen, dass wir friedfertig koexistieren müssen und dass wir unsere Differenzen respektieren müssen. Trump nutzt die Ängste eines Teils der weißen Mehrheitsbevölkerung, aber ich denke, seine Zeit läuft ab.

Reden wir über die weiße Mehrheitsbevölkerung.

Am Wochenende waren viele junge Weiße auf der Straße, Männer und Frauen, und sie sind es immer noch. Das ist großartig, auch wenn es etwas überfällig ist. Natürlich ist es auch eine Reaktion auf die bösartigen Bemerkungen, die aus dem Weißen Haus kommen.

Was muss jetzt passieren, wie muss sich Polizeiarbeit in den USA ändern?

Präsident Barack Obama hatte eine Task Force eingesetzt zu »Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert«. Deren Empfehlungen müssen wir umsetzen, das ist ein guter Start. Und dann sollten wir weitere Dinge einführen, wie etwa ein regelmäßiger, verpflichtender psychologischer Test, ob man auch bereit ist für die Anforderungen des Polizeidienstes. Ich kenne eine klinische Psychologin, die solche Tests in Atlanta bei Bewerbern für den Polizeidienst durchgeführt hat. Sie hat ihre Arbeit eingestellt, weil sie den Eindruck hatte, dass die Tests nicht ernst gemeint waren von der Polizeiführung. Wir müssen anfangen, den Schaden, den der Rassismus in diesem Land angerichtet hat, zu reparieren, indem wir unfaire Gefängnisstrafen aufheben, die Leute freilassen und ihnen helfen. Wir müssen all diese Strukturen in unserem Land, die Menschen diskriminieren, überprüfen und ändern. Wir müssen jetzt damit anfangen.

Reformbemühungen in Polizei und Justiz gibt es ja schon seit einiger Zeit und immer wieder.

Nun ja, aber die sind nicht besonders weit gekommen. Unser Bezirksstaatsanwalt in Atlanta, wo ich lebe, hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die unfaire Ermittlungspraktiken und Urteile untersucht, Leute freilässt und ihnen hilft, einen Job zu bekommen. Aber das muss überall in Georgia und landesweit passieren. Wir wissen, dass es besonders in Gegenden, wo nur wenige Schwarze leben, besonders viel Diskriminierung gibt. Wir sollten aber auch die Ungleichheit im Bildungssystem angehen, und die über Generationen weitergegebene Armut. Wenn wir das schaffen, werden wir ein besseres Land sein.

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