Verschärfte soziale Ungleichheit

Die Coronakrise sorgt für eine weiter wachsende Konzentration bei Vermögen und Einkommen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Corona macht den Unterschied bei Einkommen und Vermögen in Deutschland. Der Lockdown und die Verunsicherung über die Entwicklung der Pandemie hinterlassen längst ihre Spuren.

Bei den Vermögen ist von Bedeutung, dass die Phase extrem niedriger Zinsen länger weitergehen wird und diese sogar noch sinken. Anleger und Sparer agieren in diesen Zeiten überwiegend »konservativ«. Dies ergab eine repräsentative Online-Umfrage im Auftrag der Bundesfinanzaufsicht Bafin, die auch für Verbraucherschutz zuständig ist. Die verbreitetsten Formen der Geldanlage sind demnach kaum verzinste Sparbücher und Tagesgeldkonten. Die meisten Befragten können sich nicht einmal vorstellen, künftig ein höheres Risiko einzugehen, um eine positive Rendite erzielen zu können. Dagegen legen höhere Einkommensgruppen häufiger Geld in Wertpapieren an. Und die werfen im Schnitt deutlich höhere Renditen ab als ein Sparbuch - auch wenn der Kurssturz an den Börsen im März anderes vermuten lässt. Erfahrene oder gut beratene Anleger halten Aktien dauerhaft, und auf diese Weise werfen die Anteilsscheine und andere Wertpapiere weit überdurchschnittlich hohe Renditen ab. Kursdellen führen dann lediglich zu virtuellen Verlusten. Oder zum preiswerten Kauf von Wertpapieren, deren Kurs gerade gefallen ist.

Für soziale Unwucht sorgen weiterhin Immobilien. Eigentümer profitieren, zumindest in den Städten und in günstigen Lagen auf dem Land, schon seit einiger Zeit von enormen Wertzuwächsen. So sind die Preise für Wohnimmobilien seit 2010 laut Bundesbank um rund 70 Prozent gestiegen, in Großstädten sogar um mehr als 100 Prozent.

Insgesamt bleibt der Kreis der Wohlhabenden überschaubar. Nach der Bafin-Umfrage sparen lediglich elf Prozent der Befragten 500 Euro im Monat oder mehr. Ganz unten auf der Skala finden sich dagegen 15 Prozent, die gar nicht sparen. Fast alle, weil sie zu wenig Geld dafür haben.

Corona verschärft solche langfristigen Trends noch, wie eine Studie der Postbank, deren Kunden meist aus der Mittelschicht kommen, jetzt ergab. »Zwar trifft die Krise sämtliche Bevölkerungsschichten, finanziell Bessergestellte sind allerdings eher in der Lage, Einbußen abzufedern und Verluste auszugleichen«, meint Karsten Rusch, Experte für Wertpapieranlagen bei der Postbank. Beschäftigte in den jetzt »systemrelevanten« Bereichen werden bekanntlich schlecht bezahlt. Insolvenzen und Entlassungen bedrohen vor allem Arbeiter in bestimmten Branchen. »Wer wenig Geld zum Sparen zur Verfügung hat, dem fehlen die finanziellen Reserven, um Geld langfristig etwa in Wertpapieren anzulegen«, erklärt Rusch. Gleichzeitig verlieren Ersparnisse auf dem Giro- oder Sparkonto durch die Inflation sogar an Wert.

Die soziale Unwucht beginnt bereits beim Einkommen. Mehrere Millionen Menschen sind in Kurzarbeit. Vor allem Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben müssen mit 60 Prozent (mit Kind: 67 Prozent) des Nettolohns auskommen. Die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung auf 70/77 Prozent wird erst ab dem vierten Monat greifen. Zahlreiche Großkonzerne hingegen stocken das Kurzarbeitergeld ihrer ohnehin überdurchschnittlich bezahlten Beschäftigten auf 100 Prozent auf.

Ganzen mittelständisch geprägten Berufszweigen wie der Gastronomie, den Volkshochschulen oder dem Friseurhandwerk brachen im Lockdown komplett die Einnahmen weg. Mil-lionen Kinder müssen wegen Schließung der Kindertagesstätten und Schulen von ihren oft berufstätigen Eltern betreut werden, was offenbar häufig mit herben Einkommensverlusten verbunden ist. Laut der Postbank-Studie traf die Krise Familien finanziell besonders hart: Während nur 18 Prozent der Single-Haushalte Verluste verzeichnen, haben 57 Prozent der Haushalte mit drei und mehr Personen Einbußen zu verkraften.

Corona vergrößert zugleich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Schätzungsweise doppelt so viele Frauen haben ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. »Da die ökonomischen Folgen der Krise noch lange spürbar sein werden, wird eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit wahrscheinlich nicht für alle möglich sein«, befürchtet der DGB. Frauen mit geringerem Einkommen werden davon noch stärker getroffen als alle anderen. AkademikerInnen hingegen, die laut einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin wesentlich häufiger im Homeoffice arbeiten, können Arbeit und Kinderbetreuung besser vereinbaren und müssen ihre Arbeitszeit weniger reduzieren.

Viele junge Familien haben aber bereits in normalen Zeiten ein eng kalkuliertes Budget. Wie das Statistische Bundesamt anlässlich der gerade zu Ende gegangenen »Aktionswoche Schuldnerberatung« ermittelte, lebt ein großer Teil der überschuldeten Personen, die Hilfe einer Beratungsstelle in Anspruch nahmen, mit mindestens einem unterhaltspflichtigen Kind im eigenen Haushalt. Insgesamt wendeten sich 2019 über 580 000 Personen an die Schuldnerberatungsstellen. »Gerade Kinder spüren, wenn ihre Eltern finanzielle Schwierigkeiten haben«, betont Roman Schlag, Sprecher einer Arbeitsgemeinschaft von Wohlfahrtsverbänden und Verbraucherzentralen. Dies drückt sich nicht ausschließlich in der materiellen Ausstattung in der Familie aus, auch die Atmosphäre ist dort deutlich angespannter.

Sozialverbände, Gewerkschaften und Ökonomen befürchten in den kommenden Monaten eine weitere Zuspitzung. Der DGB schlägt dagegen unter anderem ein Programm für mehr Chancengleichheit an Schulen vor - damit sich »Bildungsbenachteiligung und soziale Spaltung über die nächsten Generationen nicht weiter verschärfen«.

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