Nicht voreingenommen

Jes Möller soll der erste Bundesverfassungsrichter mit ostdeutscher Biografie werden.

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Nur wenige Menschen haben die Ehre, in Erklärungen von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) namentlich genannt zu werden. Dem Vorsitzenden Richter des Landessozialgerichtes, Jes Möller, widerfuhr sie. Woidke bekräftigte seine Unterstützung für die Kandidatur des aus Greifswald stammenden Juristen für das Bundesverfassungsgericht. Dass in dieses höchste Gericht 30 Jahre nach der Wende nun auch mal ein Mensch mit einer DDR-Biografie einziehen könne, sei man den Ostdeutschen schuldig.

Sebastian Walter, Vorsitzender der oppositionellen Linksfraktion im Landtag, teilt diese Ansicht. Es sei langsam Zeit, dass endlich ein Ostdeutscher in eine solche Funktion aufrücke. »Wir unterstützen diese Kandidatur«, bekräftigte Walter dieser Woche noch einmal.

»Wir halten Jes Möller für einen starken Kandidaten und befürworten seine Nominierung ausdrücklich«, hatte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke schon vorher geäußert. »Seine fachliche Kompetenz und jahrzehntelange Erfahrung sprechen für sich«, betont die im westfälischen Münster aufgewachsene Politikerin. »Mit seiner Biografie, seinem ihm eigenen scharfen Blick und seiner klaren Positionierung auch in schwierigen Fragen wäre er in unseren Augen eine echte Bereicherung für das Bundesverfassungsgericht.«

Ob es klappt, lässt sich noch nicht vorhersehen. Gespräche werden geführt, erklärte SPD-Fraktionschef Erik Stohn vor wenigen Tagen vor Journalisten. »Die Drähte laufen heiß, kann ich Ihnen sagen.« Bei einer früheren Gelegenheit hatte sich Stohn nach der Lektüre süddeutscher Zeitungen darüber beschwert, dass an der Eignung des Kandidaten mit der ostdeutschen Biografie gezweifelt wurde.

Jes Möller müsste es gewohnt sein, im Rampenlicht zu stehen. Acht Jahre lang, bis Januar 2019, war er Präsident des Landesverfassungsgerichtes. Nach Ablauf der regulären Amtszeit vor knapp anderthalb Jahren hatte Möller den Posten an seinen Nachfolger übergeben, der ebenfalls Möller heißt - Markus Möller. In seiner Funktion als Verfassungsgerichtspräsident geriet Jes Möller, der nicht in der Tradition der rechtskonservativen deutschen Richterschaft gesehen wird, gelegentlich unter Beschuss. Als CDU und Grüne noch Oppositionsparteien in Brandenburg waren und eine rot-rote Koalition regierte, hatten sie einmal gemeinsam mit der damals im Landtag vertretenen FDP einen Befangenheitsantrag gegen Möller gestellt. Es ging seinerzeit um eine Streitfrage bei der Finanzierung von Privatschulen. CDU, Grüne und FDP warfen Möller vor, voreingenommen zu sein - vergeblich, er durfte auch diese Verhandlung führen. Beinahe noch mehr Aufsehen erregte das von Möller geleitete Landesverfassungsgericht, als es 2014 einem der Stasi-Mitarbeit Beschuldigten das Recht zusprach, seine Sicht und seine Beweggründe vor Gericht darzulegen. Das schrieb er zwei aus Westdeutschland stammenden Gerichtspräsidenten ins Stammbuch, die sich bei der Verweigerung dieses elementarsten aller juristischen Rechte auf die »Rechtslage« berufen hatten. Eineinhalb Jahrzehnte nach der Herstellung der deutschen Einheit könne man so etwas nicht mehr im Ernst geltend machen, urteilte das brandenburgische Verfassungsgericht.

Wieder in den Schlagzeilen war Möller, als das Bundesverfassungsgericht ein einstimmig gefälltes Urteil des Landesverfassungsgerichts zur Frage der Altanschließer aufhob. Altanschließer sind die Eigentümer von Grundstücken in Ostdeutschland, die vor dem Stichtag 3. Oktober 1990 an das Trinkwassernetz und an die Kanalisation angeschlossen worden sind. Möllers Landesverfassungsgericht hatte es für rechtens befunden, von Grundstückseigentümern nachträglich Beiträge zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht hielt aber Beschwerden dagegen für begründet. Möller äußerte sich 2016 zu diesem Kassieren seines Urteils. Er sagte: »Ich würde die Entscheidung noch einmal genauso schreiben.« Und er fügte hinzu: »Es gibt keinen Grundsatz, dass Karlsruhe immer Recht hat. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz steht nicht: Das Bundesverfassungsgericht ist nie zu hinterfragen und hat immer das letzte Wort.«

Über diese Verhaltensweise empört sich Péter Vida, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Landtag, heute noch. Das ist der Grund, warum er es nicht gutheißen würde, wenn Jes Möller tatsächlich Bundesverfassungsrichter wird. Damit steht Vida nicht allein. Auch die Rechtsanwältin Vilma Niclas, die Altanschließer juristisch vertreten hat, warnte vor einer Berufung Möllers. »Die Wahl von Jes Möller als Bundesverfassungsrichter wäre ein Schlag ins Gesicht tausender Brandenburger Bürger, die vom Altanschließerskandal betroffen waren oder sind«, schrieb Niclas an Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Bovenschulte koordiniert die SPD-Länder bei der Verfassungsrichterwahl. Die SPD hat im Bundesrat das Vorschlagsrecht für die Stelle in Karlsruhe, die durch das Ausscheiden des Richters Johannes Masing frei wird. Neben dem Brandenburger Möller, der erster Ostdeutscher am obersten deutschen Gericht wäre, kandidiert auch Martin Eifert, ein Juraprofessor der Berliner Humboldt-Universität, der sein Fach von 1987 bis 1992 in Hamburg und Genf studiert hatte.

Jes Möller kam 1961 zur Welt und erlernte in Werder/Havel den Beruf des Gärtners mit Abitur. Ein Biologiestudium wurde ihm dann aber verwehrt. Er war in Konflikt mit der Staatsmacht und ins Visier des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit geraten. 1981 hatte er zu den Gründern der kirchlichen Umweltgruppe an der Erlöserkirche Potsdam gehört, in der er sich unter anderem als Herausgeber einer DDR-weiten Informationszeitung der kirchlichen Umweltgruppen betätigte. Der Geheimdienst erfasste ihn im Operativen Vorgang »Kristall«. Als er im Dezember 1983 zwei vom Waldsterben arg gezeichnete Weihnachtsbäume in Potsdamer Kirchen präsentierte, wurde er für einige Tage inhaftiert. 1986 nahm Möller ein Studium der evangelischen Theologie auf, engagierte sich 1989 bei der Gründung beziehungsweise Wiedergründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und vertrat diese in der letzten Volkskammer. Von 1991 an studierte er Jura und begann so seine juristische Laufbahn.

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