nd-aktuell.de / 06.06.2020 / Kommentare / Seite 19

Deutsch ist nicht gleich weiß

Sibel Schick über den Rassismus der neuen Kategorie »deutschfeindliche Straftaten«

Sibel Schick

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat führte 2019 stillschweigend eine neue Kategorie politisch motivierter Straftaten ein: »Deutschfeindlichkeit«. Doch was genau darunterfällt, ist bislang nicht ganz klar. Auf Anfrage erklärt das Bundeskriminalamt (BKA), dass »deutschfeindlich« einen Gegenpol zu »ausländerfeindlich« darstelle, also Straftaten aufgrund der zugeschriebenen oder tatsächlichen Nationalität. Doch häufig werden auch rassistische Straftaten als »ausländerfeindlich« bezeichnet, obwohl die betroffene Person die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Von Rassimusexpert*innen wurde dies schon häufig kritisiert. Und auch bei dieser neuen Kategorie wird deutlich, dass die Behörden »deutsch« mit »weiß« gleichsetzen. Denn: Wie wird es registriert, wenn zum Beispiel ein Schwarzer Deutscher rassistisch angegriffen wird - als deutsch- oder ausländerfeindlich?

In der Erklärung des BKA unterscheiden sich Straftaten aufgrund der angenommenen oder tatsächlichen Nationalität von dem »Unterthemenfeld« Rassismus, womit Straftaten in Bezug auf Hautfarbe und/oder ethnische Zugehörigkeit erfasst werden. Dabei ist es bereits Rassismus, wenn anhand der Hautfarbe auf die nationale Zugehörigkeit geschlossen wird. Und in einer Gesellschaft, in der für rassistisch motivierte Straftaten die Kategorie »ausländerfeindlich« genutzt wird, scheint es eine logische Schlussfolgerung zu sein, dass die neue Kategorie für weiße Deutsche genutzt wird. Mit »deutsch« wäre dann das biologische Merkmal der weißen Hautfarbe gemeint und mit »deutschfeindlich« »Rassismus gegen Weiße«.

Doch Rassismus gegen Weiße gibt es nicht. Es gibt weder Zahlen zu einer systematischen Benachteiligung weißer Menschen, die sie wegen ihres Weißseins erleben. Noch gibt es ein System, das auf der vermeintlichen Minderwertigkeit weißer Menschen aufbaut. Sehr wohl gibt es aber solche, die sich auf die vermeintliche Überlegenheit weißer Menschen stützen. Deutschland und die USA sind nur zwei Beispiele.

Diesen strukturellen Rassismus kann man in dem Video, in dem der US-amerikanische weiße Polizist Derek Chauvin den Schwarzen Mann George Floyd tötet, in all seiner Kälte sehen. Man kann die Handlung nicht mehr anders erklären als mit Rassismus. Doch wenn weiße Menschen die Existenz von Rassismus nicht mehr verleugnen können, kommt oft eine andere Strategie hinzu: Rassismus gegen Weiße. Zu behaupten, jene Menschen, die Rassismus öffentlich kritisieren, seien eigentlich keine Opfer, sondern Täter*innen und übten Rassismus gegen Weiße aus, ist eine gängige Methode, um von Rassismus abzulenken.

Zwar können alle rassistisch denken - aber nicht alle können dafür sorgen, dass andere rassistisch benachteiligt werden. Nur weil eine weiße deutsche Person »Kartoffel« genannt wird, wird sie nicht in ihren Rechten beschnitten. Doch weiße Deutsche wehren sich immer noch reflexhaft, wenn über Rassismus gesprochen wird. Aber wir müssen über Rassismus reden, weil man ihn nur besiegen kann, solange er sichtbar ist.

Die Rechtswissenschaftlerin Laurence Meyer betont im Gespräch, dass mit der Kategorie »deutschfeindlich« der Polizei eine antirassistische Rolle zugeschrieben werde, die nicht der Realität entspräche. Die Kategorie erwecke den Eindruck, dass die Polizei Rassismus ernst nehme und dagegen vorgehe. »Allein um die Heuchelei hinter diesem Begriff aufzeigen zu können, müsste man eine Mobilisierung starten. Betroffene Menschen könnten bei der Polizei darauf bestehen, die rassistischen Angriffe, die sie erleben, als deutschfeindlich registrieren zu lassen.« Dann werde man sehen, wer gemeint ist, so Meyer.

Die Kategorie »deutschfeindlich« ist nicht nur rassistisch, weil sie nichtweiße Menschen vom Deutschsein ausschließt. Sie ist auch gefährlich für Menschen, die wirklich von Rassismus betroffen sind. Denn sie entleert den Rassismusbegriff und macht strukturellen Rassismus unsichtbar. Diese Täter*innen-Opfer-Umkehr legt die rassistische Kontinuität in Deutschland offen dar und zeigt unmissverständlich, wer zu Deutschland gehört und wer nicht.