Eine Sonnenallee für alle

Mit einer Kampagne wehren sich Neuköllner gegen Zunahme homo- und transfeindlicher Gewalt

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Gewalt gegen queere Menschen geschieht dort, wo die queere Szene ist«, erklärt Ulrich Klocke einen Aspekt der Frage, warum es ausgerechnet im nördlichen Neukölln vermehrt zu Diskriminierung und Angriffen auf Menschen kommt, die scheinbar nicht in ein heterosexuelles Raster passen, und die so mit Gewalt zur Unterordnung gezwungen werden sollen.

Die Zahlen, die das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo zu homo- und transfeindlicher Gewalt veröffentlicht, sprechen für sich: Sie steigen für ganz Berlin und im besonderen Maße auch für Neukölln, so dass der Bezirk mit 21 registrierten Übergriffen im Jahr 2019 mittlerweile auf Platz 2 hinter Tempelhof-Schöneberg rangiert. Auffallend viele Attacken wurden dabei im Bereich der S-Bahnhöfe und im nördlichen Abschnitt der Sonnenallee registriert.

Klocke ist Psychologe an der Humboldt-Universität und Verfasser einer ganzen Reihe von Studien zu Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen, die unter anderem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichte. Seine Expertise kommt in der Diskussion »Gemeinsam stark - Strategien für eine tolerante und offene Sonnenallee« im Rahmen des vierten Festivals Offenes Neukölln zum Einsatz.

Coronabedingt wurde die Debatte ins Internet verlegt. Eingeladen hatten die Grünen-Politikerinnen Susanna Kahlefeld und Anja Kofbinger, die im unmittelbaren Umfeld der Sonnenallee ihre Büros haben. Neben Ulrich Klocke diskutierte unter anderem Mohamed Sabri, Imam an der Dar-as-Salam Moschee in der Flughafenstraße, mit. Gemeinsam wollte man der Frage nachgehen, warum gerade der Abschnitt zwischen Hermannplatz und Erkstraße, der sogar international als »arabische Straße« bekannt ist, zunehmend auch als queer- und transfeindlicher Ort gilt.

Leicht fällt eine solche Diskussion schon allein deshalb nicht, weil die Sonnenallee und die umliegenden Kieze, ihre Gewerbetreibenden und Bewohner*innen sich seit Jahren verstärkt einer ganzen Reihe von media᠆len und politischen Vorurteilen ausgesetzt sehen: zum Beispiel, dass es sich um ein Gebiet handele, in dem »arabische Großfamilien« - »Clans« - mit Macht und Kriminalität Einfluss ausüben. Zahlreiche konservative Politiker sind der Meinung, dem könne nur mit regelmäßigen großen Polizei᠆einsätzen begegnet werden. Kommt dazu nun noch eine besondere Schwulenfeindlichkeit muslimischer junger Männer, wie es unter anderem die Polizeiberichterstattung nahelegt?

Analog zu Klockes Einschätzung, dass es viele queere Menschen nach Neukölln ziehe, erklärt Anja Kofbinger: »Wenn hier viele muslimische junge Menschen wohnen, sind es muslimische junge Menschen, die bei solchen Angriffen auffällig werden.« Deren Einstellungen unterschieden sich weniger von der der Gesamtbevölkerung, als man denke, ergänzt Klocke.

»Die meisten Menschen hier nehmen die klischeehafte Berichterstattung nicht einmal wahr«, sagt Mohamed Sabri. Er setze auf Gespräche und Begegnung, um Vorurteilen oder daraus entstehenden Konflikten und Gewalt zu begegnen. In seiner Moschee hat er eine Begegnungsstelle eingerichtet, in der auch Ulrich Klocke nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch schwuler Mann schon zu Gast war. Dass er sich für die religiösen Abläufe in der Moschee interessiert habe, hätten auch die Besucher*innen dort positiv registriert, erklärt der Imam.

Susanna Kahlefeld verweist auf erste Effekte der im November gestarteten Kampagne »Sicherheit - Geborgenheit - Neukölln«. Mit Aufklebern, die an die Aktion Noteingang erinnern, sollen Gewerbetreibende animiert werden, von Gewalt Betroffenen Schutz anzubieten. Laut Kahlefeld beteiligen sich bereits viele arabische Läden - »mehr, als schicke Hipster-Cafés, die das Design nicht als passend zu ihrer Einrichtung empfinden«. Dass Aufkleber allein nicht reichen, weiß auch sie: »Man muss regelmäßig das Gespräch suchen«.

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