Werbung

Debatte um nicht Gesagtes

Scharfe Kritik an SPD-Chefin wegen ihrer Aussagen zu »latentem Rassismus« in der Polizei. Auch Linksfraktionschef Bartsch moniert »Generalverdacht« gegen Beamte

Abwehrreflexe, wohin man sieht: SPD-Chefin Saskia Esken ist unter Beschuss. Am Montag hatte sie angeregt, eine unabhängige Stelle mit der Bearbeitung von Beschwerden über Polizisten wegen »übermäßiger Gewaltanwendung und Rassismus« zu betrauen. Darüber hinaus konstatierte Esken, auch in Deutschland gebe es »latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte«. Die große Mehrheit der Beamten stehe solchen Tendenzen aber sehr kritisch gegenüber und leide unter dem »potenziellen Vertrauensverlust«, betonte sie gegenüber der Funke Mediengruppe.

Vor allem Eskens Aussage zum »latenten Rassismus« rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Bittere Anwürfe kamen von den beiden Polizeigewerkschaften. Am Dienstag distanzierten sich nicht nur Unions- und FDP-Politiker, sondern auch Genossen von der SPD-Vorsitzenden. Und selbst der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, meinte betonen zu müssen: »Die Polizei unter den Generalverdacht des Rassismus zu stellen und damit eine ganze Berufsgruppe in Misskredit zu bringen, ist falsch.« Das hatte Esken erkennbar nicht getan. Bartsch stellte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland klar: »Polizistinnen und Polizisten verdienen mehr Anerkennung.« Eskens Forderung nach Einrichtung von Beschwerdestellen stimmte Bartsch aber zu.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, sie sehe kein »besonderes strukturelles Rassismusproblem« bei der Polizei. Die »absolute Mehrheit« der Polizisten habe »mit Rassismus absolut nichts am Hut«. Weiter erklärte die Ministerin, unabhängige Meldestellen gebe es bereits. Kritik an ihrer Parteivorsitzenden übten auch die SPD-Innenminister von Niedersachsen, Thüringen und Berlin. So unterstellte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius Esken, sie unterstelle der Polizei, ein »größeres Problem mit Rassismus als andere Lebensbereiche« zu haben. Berlins Innensenator Andreas Geisel sagte, wer der Polizei latenten Rassismus vorwerfe, »diskreditiert die Arbeit von Tausenden rechtschaffenen Beamtinnen und Beamten«.

Scharfe Kritik an Esken äußerten auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach und der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle. Letzterer räumte aber ein, es gebe in der Polizei »Extremismus und Rassismus«. Um diesen zu bekämpfen, solle die Polizei einen Beirat Innere Führung einrichten, schlug Kuhle vor.

Doch Esken bekommt auch Zuspruch. Und zwar nicht nur aus Linkspartei und Grünen, die ähnliche Forderungen wie sie erheben. Auch der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, unterstützt das Anliegen der SPD-Chefin. Bei der Vorstellung des Jahresberichts seines Amtes am Dienstag in Berlin sagte Franke, er halte zwar die von ihr vorgeschlagene zentrale Anlaufstelle nicht für sinnvoll. Wohl aber könnten die Antidiskriminierungsstellen der Länder solche Aufgaben übernehmen. Solche Einrichtungen gebe es aber erst in acht der 16 Bundesländer, sagte Franke. Solche Institutionen müssten »eine gewisse Ferne zum Apparat der Polizei« haben, betonte der Jurist. Franke nannte es »unzweifelhaft«, dass es auch in der Polizei Rassismus gebe. Wenn ohnehin in weiten Teilen der Bevölkerung diskriminierendes Verhalten auftrete, »wäre es blauäugig, wenn man die Polizei von vornherein ausblenden würde«.

Gerade nach diesem Wochenende hatte es erneut zahlreiche Beschwerden gegen Beamte wegen grundloser rabiater Verhaftungen und des Einsatzes von Pfefferspray während der Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt, unter anderem in Hamburg und Berlin, gegeben.

In Online-Netzwerken kritisierten unterdessen Aktive der Linken die Aussagen von Fraktionschef Bartsch deutlich, so der Leipziger Stadtrat Michael Neuhaus. Er schrieb auf Twitter, Bartschs »moralinsaures Gerede« sei »kein Argument gegen die offensichtlichen Probleme bei der Polizei, sondern wirkt wie ein Ablenkungsmanöver«. Die Hildesheimer Linke-Aktivistin Daphne Weber schrieb, Bartsch konterkariere die Bemühungen der Genossen, Strukturen zu ändern, die Gewalt und Rassismus ermöglichen. »Vollends im System angekommen und nichts verstanden«, kommentierte Weber. Die Anti-G20- und Klimaaktivistin Emily Laquer nannte Bartschs Äußerungen »Verrat« an jenen, die »seit Jahrzehnten gegen eine Polizeikultur« kämpfen, die Täter schütze und Opfer »beschuldigt und kriminalisiert«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal