Tod in Obhut der Polizei

Bündnis fordert Aufklärung in 159 Fällen, in denen nicht weiße Menschen in staatlichem Gewahrsam starben

Wie verbreitet ist Rassismus unter deutschen Polizisten? Diese Frage wird derzeit heiß diskutiert. Dass es auch hierzulande immer wieder Fälle teils tödlicher rassistische Polizeigewalt gibt, ist unbestritten. Der prominenteste ist wohl der von Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, gefesselt an eine schwer entflammbare Matratze. Gutachten haben längst belegt, dass die von der Staatsanwaltschaft in Prozessen gegen Dessauer Polizisten verfochtene These von der »Selbstentzündung« des aus Sierra Leone stammenden Mannes nicht haltbar ist.

Das im Herbst 2019 gegründete Kampagnenbündnis »Death in Custody« hat aus Anlass der Tötung von George Floyd Ende Mai in Minneapolis seine Recherchen zu den 159 Schwarzen Menschen bzw. People of Color veröffentlicht, die seit 1990 in Deutschland in staatlicher »Obhut« zu Tode gekommen sind. Dabei legt die Gruppe eine breite Definition des Gewahrsamsbegriffs zugrunde. So sind auch Verstorbene aufgelistet, die durch Polizeischüsse oder durch unterlassene Hilfeleistung ums Leben gekommen sind. Auch Fälle, welche die Behörden als Suizid angeben, werden aufgeführt. Zur Begründung schreibt die Gruppe, »in einer totalen Institution« könne »kein freier Wille zur Beendigung des eigenen Lebens gebildet werden«. Der Fall Oury Jalloh zeige zudem, dass behördlichen Darstellungen »nicht ohne Weiteres geglaubt werden« könne. Datengrundlage für die Auflistung sind unter anderem Berichte des Europäischen Rats und des Ministeriums für Justiz.

Auffällig ist, dass es in den letzten Jahren besonders häufig Todesfälle in staatlichen Institutionen gab. Für 2018 stehen acht Tote in der Liste, 2019 waren es elf und in diesem Jahr sind schon fünf Menschen gestorben. Die Kampagne, die aus antirassistischen Gruppen, der Berliner Beratungsstelle für Opfer rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt Reachout sowie migrantischen Organisationen besteht, konstatiert, die Vorfälle hätten fast nie Konsequenzen für Staatsbedienstete. Stattdessen würden Opfer noch nach ihrem Tod kriminalisiert, um Täter zu entlasten.

Die Erkenntnisse der Kampagne decken sich mit denen des Forschungsprojekts »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen« an der Ruhr-Universität Bochum. Die Wissenschaftler stellten in Befragungen fest, dass Opfer von Polizeigewalt vor Anzeigen zurückschrecken, weil sie fürchten, dadurch selbst Ziel von Anzeigen oder Ermittlungen zu werden. »Death in Custody« konstatiert, Politik, der Justiz- und Sicherheitsapparat und der Verfassungsschutz in Deutschland verschleierten, verharmlosten oder duldeten rechte und rassistische Gewalt in staatlichen Institutionen. Rassismus in Behörden sei die Hauptursache dafür, dass so viele Menschen mit Migrationsgeschichte im staatlichen Gewahrsam sterben.

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